Der Glaspavillon
meine Zweifel an, denn Claire sprach schnell weiter: »Alex ist kein Guru oder so etwas in der Art, Jane. Er arbeitet nicht mit Kristallen. Er ist Arzt mit den entsprechenden Qualifikationen. Und außerdem ein toller Typ, wirklich nett. Ich gebe Ihnen seine Nummer. Ach je, ich habe sie natürlich nicht bei mir.
Crisp, mein Schatz, hast du Alex Dermot-Browns Nummer da?«
Da Crispin sich gerade mit Paul unterhielt, hörte er die Frage erst, als Claire sie wiederholte.
»Wofür brauchst du sie?«
»Meinst du nicht, er ist vielleicht der Richtige, mit dem Jane mal reden könnte?«
Crispin überlegte eine Weile, dann lächelte er.
»O ja, gut möglich. Aber seien Sie nett zu ihm. Er ist ein alter Freund.« Sein Filofax lag offen vor ihm auf dem Tisch, und er blätterte, bis er die Nummer fand.
»Hier.« Er schob mir einen Zettel zu. »Falls es schiefgeht, Jane, werden wir natürlich leugnen, daß wir Sie kennen.«
6. KAPITEL
Am folgenden Morgen schrieb ich einen Brief an Rebecca Prescott. Ich legte einen Scheck für die Sitzung bei und erklärte ihr, daß ich mich entschlossen hätte, nicht weiterzumachen. Ich kam mir idiotisch vor, als ich anschließend die Nummer wählte, die Crispin mir gegeben hatte. Am anderen Ende der Leitung ertönte unverständliches Geplapper.
»Hallo, kann ich bitte Dr. Alexander Dermot-Brown sprechen?«
Noch mehr Gebrabbel.
»Hallo, ist deine Mama oder dein Dad da?«
Daraufhin verwandelte sich das Gebrabbel immerhin zu einem verständlichen »Dad, Dad«. Dann wurde meinem Gesprächspartner offenbar der Hörer entwunden, denn er brach in ein schrilles Geschrei aus.
»Sei still, Jack. Ja, wer ist dort bitte?«
»Ich möchte Dr. Alexander Dermot-Brown sprechen.«
»Am Apparat.«
»Sie sind Therapeut?«
»Ja, ich weiß.« Im Hintergrund klapperte es, und Dermot-Brown rief etwas. »Entschuldigung, Sie haben uns mitten im Frühstück erwischt.«
»Tut mir leid. Ich versuch’s kurz zu machen. Ich habe ihre Nummer von Crispin Pitt und Claire … äh …«
»Claire Swenson.«
»Kann ich mit Ihnen reden?«
»Ja.« Er machte eine Pause. »Wie wär’s gegen zwölf?«
»Sie meinen heute?«
»Ja. Einer meiner Patienten ist in Urlaub gefahren. Aber wenn Ihnen das nicht paßt, geht’s auch nächste Woche oder die Woche danach.«
»Nein, zwölf ist gut.«
Er gab mir seine Adresse in Camden Town, in der Nähe des Marktes.
Lieber Himmel, eine weitere Unterbrechung im Büro!
Obwohl, so schlimm war es auch nicht. »Arbeit«
bedeutete für mich das CFM-Büro im obersten Stockwerk eines alten Lagerhauses mit Blick auf das Hafenbecken von Islington. Das C, nämlich Lewis Carew, war 1989 an Aids gestorben. Übriggeblieben waren ich und das F, Duncan Fowler. Nach Jahren der Rezession waren allmählich wieder bessere Zeiten in Sicht, in denen es genug Arbeit für uns beide gab. Solange ich zu allen Besprechungen ging, die »mein« Wohnheim betrafen, mit dem Papierkram auf dem laufenden blieb und mich regelmäßig im Büro blicken ließ, konnte nicht viel schiefgehen.
Ich fuhr mit dem Fahrrad ins Büro. Dort sah ich die Post durch und wechselte ein paar Worte mit Gina, unserer Assistentin (eigentlich ist sie unsere Sekretärin, aber sie trägt die Bezeichnung Assistentin als Entschädigung für ihr niedriges Gehalt). Um elf tauchte Duncan im Büro auf, gutgelaunt wie immer. Duncan ist rundlich, ziemlich klein und bis auf einen rötlichen Lockenkranz völlig kahl. Dafür hat er einen überaus dichten Bart. Ich erzählte ihm von ein paar neuen Schwierigkeiten mit dem Wohnheim, er mir von einem Auftrag für einen Mehrfamilienblock, der uns aber auch nicht viel Geld einbringen würde.
Als ich Duncan sagte, daß ich innerhalb von zwei Tagen bereits den zweiten Therapeuten aufsuchte, lachte er schallend und nahm mich in den Arm. Dann schwang ich mich auf mein Fahrrad. Alexander Dermot-Brown hatte bei mir bereits einen Stein im Brett, weil ich nahezu den ganzen Weg vom Büro bis zu seinem Haus mit dem Fahrrad am Kanal entlangfahren konnte.
Ich brauchte nur die Upper Street zu überqueren und die Gasometerwüste und die Schienenidylle hinter dem Lagerhaus des Postamts zu durchqueren, bis zum Camden Lock, wo ich den Treidelpfad verlassen mußte. Von dort waren es nur noch ein paar hundert Meter. Ich kettete mein Fahrrad an eines der Geländer, die es an den Häusern im Norden Londons überall gibt.
Alexander Dermot-Brown trug Turnschuhe, Jeans und einen dünnen, verschlissenen Pullover, der an
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