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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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meinen.«
    »Und zwar deshalb, Jane, weil es eine meiner Aufgaben ist, dafür zu sorgen, daß Sie die verschiedenen Ereignisse, von denen sie überwältigt sind, wieder unter Kontrolle bekommen. Wir könnten uns zu diesem Zweck verborgene Muster ansehen und prüfen, ob wir sie wiedererkennen.
    Sie sind zu mir gekommen, Jane, um über Ihre Scheidung zu sprechen. Das ist wichtig, und wir werden uns auch damit befassen. Doch eine ganz wesentliche Aufgabe ist es herauszufinden, was Sie tatsächlich möchten, und dazu möchte ich Ihnen etwas zu überlegen geben. Ich glaube, es ist kein Zufall, daß Ihre beste Freundin, fast schon Ihr Zwilling, im Erdreich verscharrt gefunden wurde und Sie zur selben Zeit zum erstenmal in Ihrem Leben um Hilfe nachsuchen, um Ihre eigene Vergangenheit auszugraben, um Ihrem eigenen Geheimnis nachzuspüren. Leuchtet Ihnen das ein, Jane?«
    Ich war verblüfft und zunächst etwas beunruhigt.
    »Ich weiß nicht. Es war für uns alle natürlich ein maßloser Schock. Aber es ist und bleibt ein tragischer Unglücksfall. Ich verstehe nicht, was es darüber zu reden gibt.«
    Alex ließ sich nicht abbringen.
    »Mich macht Ihre Wortwahl stutzig. Ein Schock für uns alle. Dabei war es ein tragischer Unglücksfall. War er das wirklich? Wissen Sie, zuweilen denke ich, daß die Bereiche, über die Menschen nicht sprechen wollen, oftmals genau die sind, mit denen man sich näher befassen sollte. Ihre Scheidung hat etwas mit Überzeugung, Gefühl, Ihrer Einstellung zu tun. Natalies Tod dagegen ist ein Faktum, ebenso wie die Entdeckung der Knochen Fakten sind. Ich denke, hier sollten wir ansetzen.«
    Ich hatte dem therapeutischen Gerede von Gefühlen und dem Argwohn gegenüber tatsächlichen Ereignissen immer ablehnend gegenübergestanden, so daß mich Alex’ Worte tief beeindruckten.
    »Ja, einverstanden. Ich glaube, Sie haben recht.«
    »Gut, Jane. Erzählen Sie mir, wie es war, als Natalie verschwand.«
    Ich legte mich wieder auf die Couch und überlegte, womit ich beginnen sollte.
    »Ich finde es schrecklich, aber vieles bleibt für mich schemenhaft wie etwas längst Vergangenes, obwohl es so tragisch war und jede Einzelheit in der Erinnerung lebendig sein sollte. Andererseits ist es bereits ein Vierteljahrhundert her, es war im Sommer 1969. Natalie verschwand unmittelbar nach einer großen Party auf Stead, die anläßlich Alans und Marthas zwanzigstem Hochzeitstag gefeiert wurde. Es geschah nichts, was besonders erwähnenswert wäre und sich in mein Gedächtnis eingegraben hätte. Nur an eines erinnere ich mich noch ganz genau: Natalie wurde nach der Party von einem Mann aus dem Dorf zum letztenmal gesehen.« Ich hielt inne. »Das Seltsame daran ist, daß ich mich in der Nähe aufhielt.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na ja, ich war natürlich nicht genau dort, aber nicht weit entfernt. Offenbar befand ich mich in ihrer unmittel-baren Nähe – abgesehen von dem Mann, der sie gesehen hat, und vielleicht der Person, die … na ja, Sie wissen schon.«
    »Die Person, die Natalie umgebracht hat.«

    »Ja. Vielleicht sollte ich Ihnen den Platz beschreiben.
    Möchten Sie?«
    »Okay, gut.«
    »Natalie wurde zum letztenmal am Col gesehen. Der Col ist das Flüßchen oder der breite Bach, der an der Grenze des Grundstücks der Martellos vorbeifließt. Von Westbury, dem nächsten Dorf, führt ein schmaler Pfad über den Col und durch Alans und Marthas Grundstück hindurch und am Haus vorbei. Der Mann war auf dem Weg dorthin, um etwas zu liefern oder abzuholen, das weiß ich nicht mehr. Er sah Natalie auf dem Pfad, der am Wasser entlangführt, am Fuß des Cree’s Top. Er hat ihr sogar zugewinkt, aber sie hat ihn nicht bemerkt. Danach hat niemand mehr sie lebend gesehen.«
    »Wo waren Sie? «
    »Auf der anderen Seite vom Cree’s Top. Der Name klingt, als handle es sich um einen hohen Berggipfel, aber eigentlich ist es nur eine Erhebung, die durch den Bach zerschnitten wird.«
    Ich schloß die Augen.
    »Ich bin seit damals nicht mehr dort gewesen und habe auch jeden Gedanken daran verbannt. Ich bin nicht mal mehr in dem Teil des Grundstücks spazierengegangen, aber ich kann mich an jede Einzelheit erinnern. Wenn Natalie die Brücke hinter sich gelassen hätte und den Pfad entlanggegangen wäre, der auf der südlichen Seite des Col vorbeiführt, also auf Alans und Marthas Grundstück, hätte sie auf dem Kiesweg nach ein paar Bäumen die Anhöhe erreicht. Von dort hätte sie auf mich herabblicken können.
    Wir waren nur

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