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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Fernsehen ist verführerisch. Die Menschen erzählen Dinge vor der Kamera, die sie niemals im Leben ihren besten Freunden anvertrauen würden.«
    Ich drückte meine Zigarette aus und nahm meinen Mantel.
    »Mir geht es um ein ehrliches Filmdokument. Ich verspreche dir, ich werde nichts tun, was das Andenken Natalies beschädigen könnte.«
    »Spar dir das für Radio Times auf, Paul«, zischte ich und bereute es sogleich. Aber dann stand ich dazu. Wir trennten uns, ohne uns voneinander zu verabschieden.

    8. KAPITEL
    Meine erste Sitzung – die erste richtige – bei Alex löste bei mir die gleichen Gefühle aus wie der erste Tag an einer neuen Schule. Ich war aufgeregt. Ich hatte meine Kleidung mit ungewöhnlicher Sorgfalt ausgewählt und fühlte mich dann nicht wohl darin. Selbst Alex’ Haus wirkte auf mich verändert. Er führte mich diesmal nicht in die dunkle, warme, beruhigend unordentliche Küche, sondern in ein kleines Hinterzimmer im Obergeschoß.
    Während Alex eine Treppe höher stieg, um ein Notizbuch zu holen, ging ich hinein, trat ans Fenster und legte die Hände an die kalte Scheibe. Von dort blickte man auf einen langen schmalen Garten, der an einen entsprechenden Garten des gegenüberliegenden Hauses angrenzte – eine spiegelverkehrte Situation. Die Pflanzen waren für den Frühling alle stark zurückgeschnitten, was ich als tadelnden Hinweis auf mein eigenes vernachlässigtes Stückchen Grund empfand. Als sich die Tür hinter mir schloß, zuckte ich zusammen. Ich drehte mich um und sah Alex vor mir stehen.
    »Bitte«, sagte er, »legen Sie sich hin.«
    Ich hatte mir das Zimmer nicht genau angesehen, weder die Einrichtung noch den Teppich. Für mich gab es nur den Lehnsessel und daneben die Couch. Ich legte mich hin. Als Alex sich hinter mich setzte, außerhalb meines Blickfeldes, hörte ich die Sprungfedern quietschen.
    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, sagte ich ängstlich.
    »Weshalb sind Sie hier? Nehmen Sie das als Ausgangs-punkt und erzählen Sie dazu einfach weiter«, sagte Alex.

    »Gut. Anfang September eröffnete ich Claud, meinem Mann, ich wäre der Meinung, wir sollten uns scheiden lassen. Meine Ankündigung kam aus heiterem Himmel, und die ganze Familie war furchtbar entsetzt.«
    »Wen meinen Sie mit ›ganze Familie‹?«
    »Die Familie mitsamt Anhang. Wenn ich von ›meiner‹
    Familie spreche, dann meine ich nicht die kleine Familie Crane, sondern die wunderbaren, beneidenswerten Martellos.«
    »Das klingt ein wenig ironisch.«
    »Aber wirklich nur ein bißchen. Ich habe möglicherweise ein paar Vorbehalte, aber diese Familie ist wirklich einmalig! Wir haben allesamt großes Glück. So hat mein Vater es immer ausgedrückt. Als der Krieg zu Ende war und er aus der Armee ausschied, ist er sofort nach Oxford gegangen. Dort lernte er gleich am ersten Tag Alan kennen. Klar, mittlerweile kennen wir alle The Town Drain, deshalb kann man sich heute kaum noch vorstellen, was mein Vater – ein gescheiter und schüchterner Stipen-diat – empfunden haben muß, als er völlig beklommen und ehrfurchtsvoll in Oxford ankam und sofort dem Prototyp eines Billy Beiton in die Arme lief. Und wenn man bedenkt, wie Billy Beiton als Held des Buches den Leser in seinen Bann zieht, dann stelle man ihn sich leibhaftig vor: ein unerhört geistreicher Mensch, der sich allem gegenüber geringschätzig verhielt, vor dem man eigentlich Respekt haben sollte. Ich glaube, die beiden waren damals nahezu ineinander verliebt.
    Einige Jahre später heirateten Alan und mein Vater und beide Familien wurden fast so etwas wie eine große Familie. Als The Town Drain zum Bestseller und später auch noch verfilmt wurde, kam Alan zu Geld, kaufte das Haus und das Stück Land in Shropshire, wo wir unsere Ferien verbrachten. Es war einfach phantastisch dort, und die Leute, die wir mitbrachten, waren fasziniert von dieser unglaublichen Familie mit den vier gutaussehenden Söhnen – und natürlich von der schönen Tochter. Sie waren der Mittelpunkt meines Lebens. Natalie war sowohl meine Schwester als auch meine beste Freundin. Und Theo war meine erste Liebe. Und es schien nur natürlich, sozusagen unumgänglich, daß ich Claud heiratete.«
    »War Theo der ältere Bruder?«
    »Claud ist der Älteste, dann kommt Theo, dann Natalie.
    Jonah und Alfred sind die jüngsten, sie sind Zwillinge.«
    »Wie haben sie reagiert, als Sie mit Claud brachen?«
    »Schwer zu sagen. Eines wollten sie mir an dem Wochenende, als Natalie

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