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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Rauchwolken aus dem Kamin aufstiegen, Zeichen verheißungsvoller Wärme im Inneren des Hauses. Jetzt wirkte es auf mich verödet.
    Alle Fenster waren dunkel. Unkraut wucherte rund um die Eingangstür. Die Trauerweide, die sich über die Einfahrt neigte, sah ungepflegt aus.
    Jane Martellos fliegender Imbißservice hatte Baisers, Scones mit ungesalzener Butter, selbstgemachte Marmelade aus dem Vorjahr und einen Kuchen geliefert. In der Nacht vor der Beerdigung hatte ich bis in die frühen Morgenstunden gebacken. Die Küche hatte nach Vanille und Zitronenschale geduftet. Als der Kuchen im Ofen gewesen war, habe ich Claud noch einmal angerufen.
    »Wer kommt?« hatte ich gefragt.
    »Ich weiß nicht genau«, hatte er geantwortet und dann ein paar Namen genannt.
    »Luke! Luke kommt?«
    »Warum denn nicht, Jane?« hatte Claud etwas gereizt geantwortet. Ein Blick auf die Küchenuhr zeigte mir, daß es bereits weit nach Mitternacht war. Wahrscheinlich hatte ich ihn geweckt.
    »Aber Luke war doch ihr Freund. Natalie erwartete ein Kind, und Luke war ihr Freund.«
    »Gute Nacht, Sherlock, bis morgen.«
    Während ich eine Decke über den langen Eichentisch in der Küche von Stead breitete, wurde mir klar, daß Luke der Mann gewesen war, der sich die Nase geputzt hatte. In wenigen Minuten würde er mit den anderen hier erscheinen, und wir würden uns höflich miteinander unterhalten.
    Der tiefe Schmerz am Grab würde sich in stumpfsinnigen Gesprächen bei belegten Brötchen verflüchtigen. Jeder hätte nach der Beerdigung besser seiner Wege gehen sollen, um eine Weile mit dem Verlust und der Trauer allein zu sein. Ich schob gerade die Brötchen in den Ofen, um sie aufzubacken, als Hana mit den Baisers in die Küche kam. Wir sprachen nicht. Sie hatte stets zu schweigen verstanden.
    »Jane, meine Liebe. Hana.« Es war Alan, aber nicht der bombastische Alan. »Martha ist nach oben gegangen, wird aber in einer Minute hier sein. Kann ich euch helfen?«
    »Nein, Alan, das ist nicht nötig.«
    »Wenn das so ist, werde ich …« Er machte eine vage Handbewegung und schlurfte hinaus.
    Ich überließ Hana das Aufdecken und ging in den Garten.
    Noch bevor ich mir eine Zigarette angezündet hatte, sah ich Menschen grüppchenweise die Einfahrt heraufkommen. Da ich noch niemanden sehen wollte, machte ich mich in entgegengesetzter Richtung davon. Mein Essen konnte mich eine Weile ersetzen.

    »Und was machst du?«
    Genau das hatte ich befürchtet. Vor mir stand ein Mann in einem schlecht gebügelten und nicht sonderlich sauberen dunklen Anzug. Aber dahinter sah ich einen schlanken, langhaarigen Jungen mit rundlicher Nickelbrille, der Natalie küßte, sie nahezu verschlingen wollte und ihren Nacken sanft streichelte. Natalies Hauch von Wildheit. Die Frage schien ihn merkwürdigerweise völlig aus der Fassung zu bringen.
    »Ich bin Lehrer«, sagte er. »In Sparkhill, an einer höheren Schule.«

    Luke, groß und dünn, beugte sich über mich, als er sprach; er erinnerte mich, dank seiner langen Nase, an einen traurigen Vogel, aber sein Blick war stechend.
    Mechanisch sagte ich, was ich immer zu Lehrern sagte, daß das der wertvollste Beruf überhaupt sei und so weiter und so fort. Blablabla.

»Ich geb dir die Adresse«, sagte er. »Dann kannst du unseren Prospekt anfordern.« Da klang etwas von dem gereizten Luke von einst durch, nur war das Herz nicht dabei. »Jane, können wir miteinander reden?«
    Er faßte mich am Ellbogen und steuerte zwischen den Gästen durch auf die Tür zu.
    »Das ist besser«, flüsterte er gehetzt, als sei er in Eile und könnte womöglich belauscht werden. Während er sich mit mir unterhielt, sah er über meine Schulter hinweg, so wie man auf Partys nach jemandem Ausschau hält, der einen weit mehr interessiert. »Ich habe gehört – Theo hat es mir erzählt –, daß Natalie ermordet worden ist. Tja, was für eine Überraschung. Dann sagte er noch, sie sei schwanger gewesen. Da hab ich kapiert, warum ich nach all den Jahren nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurde. Martha hat mich nicht einmal begrüßt. Theo und alle meinen, ich sei es gewesen.«
    »Was sollst du gewesen sein?«
    Ich kam mir hart und grausam vor. Lukes Gesicht verzerrte sich, und er zog erneut ein Taschentuch hervor.
    Das Bild des kleinen, schluchzenden Jungen von einst tauchte blitzartig vor mir auf und verschwand ebenso schnell wieder. Mir fiel auf, daß er von all den Männern in Natalies Leben der erste war, den ich um sie weinen

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