Der Glaspavillon
ich sagen sollte. Das machte aber nichts, denn mein Vater fuhr lebhaft mit seinen Erläuterungen fort. Er blätterte seine Entwürfe und Beschreibungen durch, sprach von Schiebefenstern, Einlaßmitteln und Kaminschutz, Dekorationen am Fensterrahmen und Türbeschlägen. Paul fragte ihn scherzhaft, ob er auch die Gasbeleuchtung wieder einführen wolle.
Meine Gefühle waren gemischt, nicht nur wegen der Undurchführbarkeit seines Plans, sondern weil ich das Gefühl hatte, mein Vater manövriere sich durch den Umbau systematisch aus seinem eigenen Haus. Wenn die Renovierungsarbeiten abgeschlossen wären – sollte es je dazu kommen –, wären sämtliche Neuerungen und Ideale, die meinem Vater Kraft zum Leben gegeben hatten, zerstört. Als ich etwas über Achtung vor der Vergangenheit murmelte, erntete ich ein sarkastisches Lachen.
»Jeder geht anders mit seiner Vergangenheit um. Ich hoffe, ich kann sie wiedererstehen lassen und erhalten. Ist das nicht besser, als eine Fernsehdokumentation darüber zu drehen?«
Sein scharfer Blick trieb Paul die Röte ins Gesicht.
»Ich bin erstaunt, daß du so naiv bist, was die Renovierung betrifft«, wehrte sich Paul. »Stets hast du über Gebäude im Rahmen ihres sozialen Umfelds geschrieben. Was hat es für einen Sinn, Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ein viktorianisches Wohnhaus zu rekonstruieren? Wirst du dann auch auf einem Pferd durch die Gegend reiten? Ich meine, daß man die Vergangenheit unter heutigen Gesichtspunkten überdenken muß.«
»Natalie«, sagte mein Vater ohne Umschweife.
»Was?« fragte Paul.
»Jetzt sag ich dir mal war«, erklärte Dad. »Man hat Natalie ausgegraben, und du willst das in einem Fernsehfilm verarbeiten und möchtest, daß wir über unsere Gefühle reden, richtig? Vermutlich bittest du mich auch, über Mutters Tod zu sprechen. Wer wird sonst noch was dazu beitragen? Deine beiden Frauen? Der arme verlassene Claud?« Jetzt war ich derjenige, der das Blut in den Kopf stieg. »Und was ist mit Alan und Martha?
Martha wird nicht viel dazu sagen. Sie hat ihre Kümmernisse nie preisgegeben, im Gegensatz zu Alan.
Ich sehe ihn schon vor mir. Der zornige alte Mann läßt sein Leben Revue passieren. Er wird sein Geld wert sein.
Ist es das, was dir vorschwebt, Paul, eine Familie von Fernsehberühmtheiten?«
Paul sah ebenso erschrocken wie erregt aus. Ihm war gerade eine vage Idee gekommen, wie sein Film aussehen könnte, und er antwortete in typischer Manier eines Regisseurs: »Der Film wird unter dem größten Fingerspit-zengefühl und ohne jede Sensationsmache gedreht.«
Vater wandte sich von Paul ab und fing an, von einem stuckverzierten Ziegelkamin zu sprechen. Ich warf die Frage auf, ob ein Kamin aus Ton nicht besser sei, aber er wischte diesen Einwand sofort vom Tisch.
»Ich gebe nicht auf, bloß weil ein alter Mann sich in Positur wirft. Ist dir jemals so was Albernes unterge-kommen wie diese dämliche Renovierung? Leidet Dad an Altersschwachsinn?«
Wir waren im Pub. Paul spielte mit seinem Glas und gab sich recht kämpferisch, aber ich wußte, daß ihn Schuldgefühle plagten.
»Blas mir doch nicht dauernd Rauchschwaden ins Gesicht, Jane. Meiner Ansicht nach ist es absolut legitim, daß ich für meine Arbeit auf eigene Erfahrungen zurückgreife, und die besteht nun mal aus zwei Familien.
Nur weil Surplus Value ein Hit ist, heißt das nichts, daß ich nichts anderes zuwege bringe als Spielshows.«
Ich schwieg.
»Oder?«
Ich zuckte die Achseln.
»Es ist doch völlig egal, was ich davon halte. Ich muß ja nicht das Geld für den Film aufbringen.«
»Es ist wichtig für mich. Seit jenem Wochenende geht Natalie mir nicht aus dem Kopf. Einen Film über sie und über uns zu drehen wäre für uns alle gut. Es wäre eine Möglichkeit, das Geschehene zu bewältigen.«
»Therapie via Fernsehen.«
»Na ja, bestimmt nicht schlechter als das, was du gerade machst. Wir versuchen doch beide nur, uns selbst zu helfen. Was ist denn daran so falsch?«
Ich legte die Hand auf seinen Arm. Er schüttelte sie gereizt ab.
»Paul«, sagte ich. »Du möchtest, daß Menschen mit dir über ihr Leben sprechen, aber die meisten von uns kennen ihr eigenes Leben gar nicht. Was du vorhast, ist riskant.
Du brichst zu einem Zeitpunkt in die Erinnerungen und Träume der Menschen ein, in dem sie äußerst verletzlich sind. Und es sind die Menschen, mit denen du weiterleben mußt. Ich will nicht, daß Claud in die Welt hinausposaunt, wie er über mich denkt.
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