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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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sah.
    »Ich habe sie geliebt. Sicher, ich war nur ein unreifer Teenager, aber ich habe sie geliebt. Sie war so süß und so
    … so … grausam.«

    »Wie kannst du dir so sicher sein, daß du sie nicht geschwängert hast?« fragte ich und wollte mir die Eigen-schaftswörter, die er benutzt hatte, für später merken.
    Er weinte nicht mehr, sondern blickte mir kühl in die Augen.
    »Weil wir es nie getan haben«, sagte er. »Sie wollte nicht. Es muß jemand anders gewesen sein.«
    »Wer? Wann?«
    »Wie soll ich das wissen? Ich habe wirklich versucht, mir jedes Detail ins Gedächtnis zurückzurufen. Einmal, weiß der Himmel, wo das gewesen ist, haben wir uns geküßt. Ich habe sie geküßt. Auf ihren Wangen lag ein goldener Flaum, obwohl sie so ein dunkler Typ war. Ich spüre ihn noch heute auf den Lippen. Als ich sie streicheln wollte, schob sie mich weg und sagte: ›Du bist noch ein Kind.‹ Dabei war ich ein ganzes Jahr älter als sie. Ich war fassungslos, aber so war sie eben. Du weißt es doch. Du kanntest sie besser als jeder andere.«
    Ich wollte dieses Gespräch beenden.
    »Gut, warum erzählst du es mir dann?«
    »Glaubst du mir jetzt?«
    »Wen interessiert, was ich glaube?«
    »Mich«, sagte Luke und murmelte etwas Unverständliches. Er rang um seine Fassung. »Aha, jetzt komme ich langsam dahinter. Ihr haltet zusammen. Klar, das ist für euch bequem.«
    Ich drehte mich um und ging.
    »Ihr macht es euch wirklich ganz schön leicht«, hörte ich ihn hinter mir sagen.«

    10. KAPITEL
    »Hier, das sind alles deine.«
    Ich fing an, die Schallplatten in Kartons zu verstauen.
    Als Claud und ich uns kennenlernten, besaß er bereits eine riesige Sammlung Langspielplatten, die er nach Alphabet und verschiedenen Kategorien geordnet hatte. Meine fünf
    – zwei von Miles Davis und drei von Neil Young – waren viel zu verkratzt für Clauds Anlage, außerdem hatte er sie selbst. Während unserer Ehe kaufte er immer wieder welche dazu. Klassische Musik, Jazz, Soul und Punk –
    seine Begeisterung und seine Aufgeschlossenheit kannten keine Grenzen. Aus purem Widerspruchsgeist schleppten Jerome und Robert das neueste Gedröhn an: House, Techno, Grunge – nie lernte ich, das eine vom andern zu unterscheiden, stets reagierte ich mit Ignoranz und Entsetzen, wie es von mir erwartet wurde. Claud hingegen fand nach und nach Gefallen an dieser Musik und hörte Rap-Songs über ermordete Polizisten, die sogar Robert schockierten. Er erklärte, es sei einer der wichtigsten Aspekte der freien Meinungsäußerung, daß auch jemand wie Iced Tea, oder wie immer er heißen mochte, seine Ansicht kundtun dürfe. Genußvoll spielte Claud mir Guns’n Roses vor, während seine Söhne ihn schmollend ansahen und ich nachdenklich das Cover betrachtete, auf dem allen Anschein nach gerade eine Frau von einem Roboter vergewaltigt wurde. Wenn seine Brüder zu Besuch kamen, stürzten sie sich auf seine Sammlung, zogen diese oder jene Platte vergangener Tage heraus, beispielsweise ein entsetzliches fünfzehnminütiges Schlagzeugsolo, das eine Flut von Erinnerungen an eine längst vergessen geglaubte Party oder ein betrogenes Mädchen weckte.
    »Und diese hier auch.« Ich legte die CDs ordentlich gestapelt neben die Kartons. Claud sah mich mit feuchten Augen an. Ich reagierte nicht. »Den größten Teil der Bücher habe ich durchgesehen, aber du solltest sicherheitshalber noch mal einen Blick drauf werfen. Bei manchen fällt mir die Entscheidung schwer. Ich habe sie alle hier aufs Regal gelegt.«
    »James Morris’ Venedig. «Clauds Stimme klang wehmütig.
    »Weißt du noch, wie wir dort waren?«
    Ich erinnerte mich. Es war Februar gewesen, feucht, neblig und fast menschenleer. Wir machten lange Spaziergänge, achteten nicht auf den süßlichen Gestank des Wassers, bestaunten die bröckelnden Fassaden alter Palazzi und besichtigten Kirchen. Wir liebten uns auf harten Holzbetten mit Keilkissen zum Geräusch der klappernden Jalousien.
    Die Pilze Europas, Aufstieg und Fall des Römischen Reichs, Auden, Gedichte von Hardy, Die Vögel Groß-
    britanniens. Clauds Finger glitt das Regal entlang. » One is fun sollte ich wohl nehmen. Und das hier sieht aus, als wäre es meins.« Er zog einen schmalen Führer über Englands ländliche Kirchen heraus und legte ihn in seinen Karton. »Wir können die Bücher, die uns beiden gehören, den Jungen geben. Das scheint mir angemessen. Kann ich jetzt einen Drink bekommen?«
    »Sie lesen keine Bücher. Wir haben noch

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