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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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eine Menge über Theo erzählen, was er so alles getan hat …«
    »Das glaube ich dir nicht, Claud. Außerdem hat es nichts mit uns zu tun.«
    Plötzlich sank er förmlich in sich zusammen.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir leid, aber du fehlst mir furchtbar.« Er schlug die Hände vors Gesicht und spähte zwischen seinen Fingern hindurch wie durch das Gestänge eines Käfigs.
    Hier saß ich also mit Claud am Küchentisch, wie so viele Jahre zuvor, sah seine Tränen, ohne ihn trösten zu wollen, und wußte nicht mehr, weshalb ich ihn verlassen hatte.
    Die Wut, die heillose Frustration, die Panik, das Gefühl, daß die Zeit davonlief – all das war so weit weg. Was ich wollte, war Frieden, Freundschaft, ein geregeltes Leben, eine Heimat. Ich hatte mein Leben Stück für Stück aufgebaut, um es dann eines schönen Tages im vergangenen September über mir zusammenstürzen zu lassen.

    Ich fühlte mich alt, müde und am Ende. Einen Augenblick meinte ich, ich müßte neben Clauds Stuhl niederknien, ihn in die Arme nehmen, bis seine Tränen versiegt waren, meinen Kopf in seinen Schoß betten und spüren, wie seine Hände mein Haar streichelten, in dem sicheren Bewußtsein, daß er mir vergeben hatte. Aber ich unternahm nichts, und der Augenblick verstrich. Nach ein, zwei Minuten erhob er sich.
    »Ich hole die Sachen später.«
    Ich spielte immer noch mit dem Schälchen. »Was ist hiermit?«
    Ich reichte es Claud.
    »Das hier? Es gehört uns beiden.« Er nahm es in beide Hände, zerbrach es ohne sichtbare Gefühlsregung in zwei Teile und reichte mir die Hälfte. Ich war sprachlos. Ich sah nur, daß er sich am Finger verletzt hatte.
    »Ich nehme nur dieses hier.«
    Er legte die Scherbe in einen CD-Karton. Als ich ihm die Tür öffnete, trieb der Wind den Regen ins Haus.
    »Ich bin enttäuscht von dir, Jane«, sagte er. Ich zuckte nur die Achseln.
    Im Schlafzimmer zog ich meine Jeans und meine graue Jacke aus, nahm die Ohrringe ab, bürstete mir das Haar und zog einen Morgenmantel an. Dann ging ich ins Bad und rieb meinen Finger mit Seife ein. Ich zog kräftig, und schon glitt der Ring über den Knöchel. Nachdem ich den schmalen Reif abgespült hatte, nahm ich ihn mit in mein Arbeitszimmer, Jeromes ehemaliges Schlafzimmer, in dem jetzt Flip-Charts standen und sich Millimeterpapier und unbeantwortete Briefe türmten. Dort öffnete ich die Schreibtischschublade, in der ich verschiedene Souvenirs aufbewahrte: die Namensbänder der Jungen, die man ihnen nach der Geburt ums Handgelenk gebunden hatte, den Korken der Champagnerflasche anläßlich der Abschlußprüfung, den letzten Brief meiner Mutter, den sie mir mit zittriger Hand und unter Schmerzen geschrieben hatte, die Fotos von Natalie, die ich vor kurzem bekommen hatte. Ich legte den Ring dazu und schloß die Schublade. Dann ging ich zu Bett und mußte lange auf den Schlaf warten.

    11. KAPITEL
    »Schockiert es Sie?«
    »Mehr als das«, antwortete ich. »Ich könnte Ihnen nicht mal richtig beschreiben, was ich empfinde.«
    »Erzählen Sie«, forderte Alex mich auf.
    Ich seufzte. »Ich werd’s versuchen. Nun, ich fühle mich hinters Licht geführt, und das ist noch untertrieben, denn offensichtlich hatte Natalie noch ein anderes Gesicht, eines, das ich nicht kannte. Um es etwas genauer auszu-drücken: Zwischen Natalie und mir bestand eine Kinder-freundschaft, und wir versicherten uns gegenseitig, die besten Freundinnen und Schwestern zu sein. Schließlich waren wir die einzigen Mädchen unter vielen Jungen.
    Alles haben wir beredet, besonders nachts, in ihrem Zimmer. Im Sommer 1969 aber wandelte sich unsere Freundschaft. Wir hatten schon davor mit Jungs zu tun gehabt, aber zu ihrer Beziehung mit Luke fand ich keinen Zugang, das war irgendwie anders. Ich selbst war in der gleichen Zeit über beide Ohren in Theo verliebt.«
    »Erzählen Sie mir von Theo.«
    »Wie meinen Sie das? Damals oder heute?«
    »Egal.«
    »Theo ist immer noch ein toller Typ. Ich liebe ihn. Wenn Sie ihm begegnen würden, würde er Ihnen bestimmt auch gefallen. Er ist groß, attraktiv und hat mittlerweile eine Glatze, aber so wie ein Künstler, nicht wie ein Bankmanager, der sich die Strähnen quer über den Schädel kämmt.«
    »Klingt interessant«, meinte Alex lachend. »Wir müssen Ihre Abneigung gegenüber Bankmanagern untersuchen.«

    »Ich mag meinen Bankmanager«, beteuerte ich.
    »Obwohl ich ihn so oft provoziert habe, war er immer sehr nett zu mir.«
    Trotz der schlechten

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