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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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schmalen Bett in einer Wohnung am Finsbury Park, die Claud mit zwei anderen Medizinstudenten teilte. Von da an entwickelte sich unsere Beziehung so glatt weiter, daß der Entschluß zu heiraten irgendwie unvermeidlich schien. Am Ende meines zweiten Studienjahres setzten wir den Plan in die Tat um. Manchmal frage ich mich, ob wir damit den Zusammenhalt in der Familie festigen wollten. Bis 1975
    hatte ich Jerome und Robert geboren, und obgleich wir selbst im Grunde noch Kinder waren, mußten wir so tun, als wären wir erwachsen, während wir verzweifelt versuchten, die Betreuung unseres Nachwuchses irgendwie mit unserer Ausbildung und unserer beruflichen Laufbahn unter einen Hut zu kriegen. Rückblickend waren es zwei Jahrzehnte voll quälender Hektik, die an jenem Herbst-nachmittag, als ich Robert zum erstenmal ins College fuhr, ihren Höhepunkt fanden. Plötzlich hatte ich einen Moment Zeit zum Nachdenken, und das, was mir in den Kopf kam, war die felsenfeste Überzeugung, daß ich Claud verlassen mußte. Keine Diskussion, keine Eheberatung, keine Trennung auf Probe, sondern ein endgültiger Schlußstrich unter diesen Lebensabschnitt.
    Tja, und das alles breitete ich nun vor Alex aus. An diesem Punkt stand ich jetzt: vollkommen verwirrt, stets den Tränen nahe, ohne jeden Halt. Wie würde Alex damit umgehen? Obwohl ich mich heftig dagegen sträubte, merkte ich, daß es mir längst nicht mehr gleichgültig war, wie er mich beurteilte. Vielleicht versuchte ich ja sogar, ihn zu beeindrucken. Plötzlich begann ich mich für sein Leben zu interessieren. Ich registrierte, was er anhatte, die Veränderungen von einer Sitzung zur nächsten. Mir gefiel seine Nickelbrille, die er manchmal trug, und zwar immer so lässig, als hätte er sie ganz zufällig auf der Nase. Die langen Haare, die er sich dauernd aus der Stirn strich. Hin und wieder war er sehr streng mit mir. Zu meiner großen Überraschung billigte er beispielsweise meine Detektiv-arbeit überhaupt nicht.

    »Ich dachte, ich sollte mich mit den Tatsachen auseinandersetzen«, protestierte ich ein bißchen beleidigt.
    »Stimmt«, entgegnete Alex, »aber die Tatsachen, die uns momentan interessieren, sind diejenigen in Ihrem Kopf.
    Da haben wir noch genug Arbeit vor uns, harte Arbeit. Bei dem, was Sie mir erzählen, müssen wir unterscheiden zwischen den Dingen, die wahr sind, und denen, die nicht wahr sind. Außerdem gibt es noch die Dinge – wahre und unwahre –, die sie mir nicht erzählen. Da wird die Sache sogar noch komplizierter.«
    »Ich lüge Sie doch nicht an. Was genau meinen Sie denn damit?«
    »Ich meine dieses ganze Zeug mit Ihrer wunderschönen, harmonischen Kindheit. Sehen Sie, Jane, ich habe Ihnen gleich zu Anfang versprochen, daß ich versuchen will, Ihnen ganz offen zu erzählen, was mir durch den Kopf geht, also sollte ich Ihnen jetzt vielleicht sagen, welchen Eindruck ich habe.« Nachdenklich hielt er inne. Er schien immer äußerst gründlich zu überlegen, ehe er etwas sagte
    – ganz im Gegensatz zu mir, die immer gleich losplapperte. »Sie haben mir zwei widersprüchliche Dinge erzählt, Jane. Einerseits klammern Sie sich an diese glückliche Kindheit, als wäre sie ein Talisman, der Sie vor irgend etwas schützen soll. Gleichzeitig haben Sie aber von der Leiche berichtet, die irgendwo mitten in dieser angeblich so wunderbaren Zeit vergraben liegt. Also, ich könnte jetzt ja einfach behaupten, das sind zwei voneinander unabhängige Dinge. Warum sollte nicht jemand von außen ein Mitglied dieser glücklichen Familie ermorden? Solche grausamen Schicksalsschläge passieren ständig. Aber das ist nicht das, was Sie sagen. Sie beharren darauf, daß das ausgeschlossen ist.«
    »Was wollen Sie damit sagen, Alex? Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?«

    »Sie versuchen, zwei fürchterlich schwere Lasten im Gleichgewicht zu halten, aber das wird Ihnen nicht gelingen. Irgendwann müssen Sie eine Seite loslassen, Jane, und sich den Konsequenzen stellen. Sie müssen über Ihre Familie nachdenken.«
    Dies war einer jener Momente während der Therapie, in denen ich mich wie ein gehetztes Tier fühlte. Gerade wenn ich meinte, ein sicheres Plätzchen gefunden zu haben, an dem ich mich eine Weile ausruhen konnte, stöberte Alex mich auf und trieb mich wieder hinaus aufs offene Feld.
    Als ich ihm von diesem Bild erzählte, schüttelte er sich vor Lachen.
    »Ich weiß nicht, ob mir die Vorstellung behagt, daß Sie ein schöner Fuchs sind und ich der brutale

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