Der Glaspavillon
meinem Parkschein guthatte, spazierte ich eine Weile in Kirklow herum, allerdings ohne etwas von meiner Umgebung wahrzunehmen.
15. KAPITEL
Nach und nach kehrte in mein Leben eine gewisse Routine ein, die mir nicht einmal unangenehm war. Die Termine bei Alex Dermot-Brown bildeten einen festen Rahmen, um den sich meine sonstigen Termine und Verpflichtungen gruppierten. Inzwischen gehörten die Therapiestunden so selbstverständlich und regelmäßig zu meinem Leben wie Schlafen und Essen. Die morgendliche Fahrradfahrt am Kanal entlang, der kurvige Weg über den Markt zu Alex’ Haus waren vertraut und alltäglich geworden. In meinem Gedächtnis vermischten sich die einzelnen Therapiestunden, so daß ich sie irgendwann nicht mehr voneinander unterscheiden konnte – auch ein beruhigendes Gefühl.
Eine Sitzung nach der anderen verstrich, und ein Aspekt meines Lebens nach dem anderen kam zu Sprache. Ich erzählte über meine Kindheit, über Paul und über meine Eltern, aber natürlich landete ich immer wieder bei den Martellos, als wären sie der eigentliche Angelpunkt meiner Geschichte. Ich schilderte Alex, was wir als Kinder im Sommer gespielt hatten. Sicher gab es manche Menschen, die nostalgische, geschönte Kindheitserinnerungen hatten, aber unsere gemeinsame Vergangenheit war wirklich golden gewesen. Ich redete ausführlich über mein enges Verhältnis zu Natalie und Theo und auch viel über Claud, als wollte ich in Gedanken unsere Beziehung neu erschaffen, vielleicht als Rechtfertigung dafür, daß ich ihn verlassen hatte.
Mir fiel es schwer, über unsere Ehe zu erzählen, denn sie war eigentlich nicht zerbrochen, sondern hatte sich eher allmählich in nichts aufgelöst. Ich konnte keine handfesten Gründe für ihr Scheitern nennen. Keine Untreue, keine körperliche Gewalt, nicht einmal eine eindeutige Form von Vernachlässigung. Das alles wäre nicht Clauds Stil gewesen. In vielerlei Hinsicht bewunderte ich ihn jetzt noch mehr als früher. Während ich in Alex’ Zimmer versuchte, ihn mit Worten zu beschreiben, spürte ich immer wieder, daß ich Gefahr lief, ihn als absolut unwiderstehlich darzustellen. Und daß ich womöglich den Eindruck vermittelte, als wollte ich mir etwas ausreden, was ich bereits getan hatte.
Als Claud seine Zulassung im St. David’s Hospital bekam, war er Mitte Dreißig, und er meisterte seine neuen Aufgaben hervorragend, vor allem die ganze Arbeit in den Ausschüssen. Neben der Chirurgie ist die Gynäkologie die stärkste Männerdomäne, was ich stets anprangerte und ihn zum Handeln aufforderte. Das Argument, daß er als Assistenzarzt im Grunde nichts ausrichten konnte, benutzte er kein einziges Mal, obwohl darauf kaum etwas zu entgegnen gewesen wäre. Junge Ärzte, die Ärger machten, wurden auffallend selten befördert. Als Claud dann Facharzt wurde, änderte sich das alles. Doch wie immer bei ihm, war es ein mühseliger, unspektakulärer und zeitraubender Prozeß, und es dauerte lange, bis seine Gegner begriffen, was tatsächlich im Gange war. Claud bildete nämlich einen Ausschuß, der sich mit der Rolle der Ärztinnen in der Gynäkologie befaßte. Als die Kollegen schließlich begriffen, brach ein Sturm der Entrüstung los.
Es gab einen Prozeß, einen Leitartikel im Daily Telegraph oder einer vergleichbaren Tageszeitung, aber Claud ließ sich nicht einschüchtern.
Als wir klein waren, war Claud immer derjenige, der wußte, welches Kabel in der Steckdose wohin führte oder um welche Uhrzeit der letzte Zug fuhr – lauter Dinge, um die sich sonst keiner kümmerte. Die gleiche Begabung kam nun im Krankenhaus zum Tragen. Andere Leute plusterten sich auf, während Claud sich stets im Hintergrund hielt. Im entscheidenden Moment jedoch hatte er immer schon mit den entscheidenden Leuten im Ausschuß gesprochen oder bereits die Tagesordnung unveränderbar festgelegt – nach geheimnisvollen Regeln, von denen niemand gehört hatte. Und das führte dazu, daß in den letzten sieben Jahren jede einzelne Gynäkologenstelle im St. David’s Hospital mit einer Frau besetzt wurde. Claud war ein Held, und nicht nur das – mit seiner cleveren Idee hatte er eine Entwicklung vorweggenommen, die sich erst viel später durchsetzen sollte. Er war dem Zeitgeist voraus.
Bemerkenswerterweise kam Claud nie triumphierend zu mir, um zu sagen: »Siehst du wohl!« Er erwähnte nie, daß er die ganzen Jahre auf die passende Gelegenheit gewartet hatte, um wirkungsvoll handeln zu können. Ich wünschte mir,
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