Der Glaspavillon
blickte den Abhang von Cree’s Top empor. Alex Stimme bat mich, ich solle mich nicht bewegen und erst einmal warten. Konnte ich den Weg sehen? Selbstverständlich.
Der Pfad schlängelte sich den Hügel empor, gesäumt von dichtem Buschwerk; an einigen Stellen verschwand er aus meiner Sicht, doch den größten Teil konnte ich bequem überblicken. Sehr gut, lobte mich Alex. Alles, was er nun von mir wollte, war, daß ich mich noch einmal umdrehte und mich wieder in meine ursprüngliche Position hinsetz-te. Kein Problem. Sehr gut, sagte er. Sehr gut.
16. KAPITEL
Es gab gute und schlechte Tage, aber zu meiner eigenen Überraschung ging es mir recht gut. Beispielsweise an jenem sonnigen Montagmorgen Anfang Dezember. Es war einer jener von der Schule organisierten Tage, an denen berufstätige Frauen ein Schulkind zu ihrer Arbeitsstelle mitnehmen sollen, angeblich, um dem jungen Mädchen die Angst vor der Arbeitswelt zu nehmen. Zwar wurde ich das Gefühl nicht los, daß jede Frau, die meine Arbeit in Augenschein nahm, sich sofort unwiderstehlich zu Küche und Kinderzimmer hingezogen fühlen würde, aber ich entschied, daß ich wenigstens guten Willen zeigen mußte.
Deshalb rief ich Peggy an, da ich ohnehin immer das Gefühl hatte, ich würde mich zu selten bei ihr melden.
Offenbar fiel Emily, der mittleren, knapp sechzehnjährigen Tochter von Pauls erster Frau, als letzter eine plausible Ausrede ein, und so wurde sie mir als Opfer angeboten.
Kurz nach neun kam sie den Gartenweg entlangge-schlurft, ohne die zum Abschied winkende Peggy hinter sich zu beachten. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, wie eine griechische Witwe, obwohl man sie dank ihrer Nasenringe nicht mit einer solchen hätte verwechseln können.
Nachdem sie es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht hatte, stellte sie erst mal Start the Week ab, und wir verließen Kentish Town in östlicher Richtung. Ich erkundigte mich nach Peggy, und Emily brummte etwas und erkundigte sich nach Robert. Ich murmelte eine unverbindlich freundliche Floskel und setzte hinzu, daß er sich mit seiner neuen Freundin allem Anschein nach gut verstand. Ich habe meinen Nichten gegenüber einen starken Beschützerinstinkt, wenn es um meinen jüngsten Sohn geht, und ich habe mit Robert ebenso wie mit Jerome schon mehrmals darüber gesprochen, daß sie die Pflicht haben, sich um ihre jüngeren Kusinen zu kümmern.
Ich war reichlich nervös, hauptsächlich weil ich normalerweise eine Zigarette geraucht hätte. Weil Emily dann auch eine gewollt hätte, hatte ich mich schon im voraus zu dem Entschluß durchgerungen, für diesen einen Morgen auf das Rauchen zu verzichten.
Ich liebe meine Söhne, aber in ihrer Teenagerzeit hatte man in unserem Haus manchmal das Gefühl, man befände sich in einem Umkleideraum für Sportler. Vielleicht habe ich deshalb eine besondere Zuneigung für die drei aufsässigen Crane-Mädchen. Hin und wieder machte ich mir Sorgen, daß ich mich womöglich zu sehr um sie bemühte und dadurch erst recht vergraulte, aber als wir anhielten und den York Way entlangspazierten, plauderte Emily mit einer für sie bemerkenswerten Offenherzigkeit.
Ich fragte sie, ob sie etwas von Pauls Dokumentarfilm gehört hatte. Wie bei fast allem, was mit ihrem Vater zu tun hat, verdrehte Emily entnervt die Augen.
»Er ist echt so albern«, stöhnte sie.
Sofort fühlte ich mich verpflichtet, ihn in Schutz zu nehmen.
»Aber nein, Emily, es wird bestimmt hochinteressant.«
»Du willst also auch ins Fernsehen, genau wie alle, die etwas über deine Familie wissen?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Wir weigern uns alle mitzumachen. Dad ist stocksauer geworden. Cath hat ihn einen Voyeur genannt.«
»Na ja, bestimmt hat sich Paul zumindest darüber gefreut, daß sie ein französisches Wort benutzt. Jetzt braucht sie ihn nur noch einen auteur zu nennen!«
Wir kicherten beide. Wie immer kamen wir zu spät zum Wohnheim, wo bereits zwei Angestellte der Stadtverwaltung auf uns warteten, die ich allerdings beide nicht kannte. Pandora Webb, zuständig für den Bereich psychologische Nachsorge, und Carolyn Salkin, Fachkraft für Behindertenarbeit – im Rollstuhl. Am Fuß der steilen Betontreppe, die zur Eingangstür führte. Carolyn hatte extrem kurzgeschnittene Haare, was ihr das Aussehen eines wütenden Kobolds verlieh. Wenn ich sie unter anderen Umständen kennengelernt hätte als ausgerechnet hier, vor meinem kostbaren Projekt, wäre sie mir sicher auf Anhieb sympathisch gewesen.
Weitere Kostenlose Bücher