Der Glaspavillon
Ohne Umschweife kam sie zur Sache.
»Hier gibt es offensichtlich keinen Zugang für Rollstuhlfahrer, Ms. Martello.«
»Bitte nennen Sie mich doch Jane«, keuchte ich, noch ganz atemlos, weil wir uns so beeilt hatten. »Und das ist meine Nichte Emily.«
»Wie ich feststellen muß, gibt es hier keinen Zugang für Rollstuhlfahrer, Jane.«
»Das Thema ist nie richtig angesprochen worden«, antwortete ich schwach, denn es war Montagmorgen, und ich fühlte mich etwas gehemmt durch die Anwesenheit meiner Nichte.
»Ich spreche es jetzt an.«
Am liebsten hätte ich mich so schnell wie möglich in ein stilles Eckchen zurückgezogen und über das Problem nachgedacht. Leider war das nicht möglich.
»Ich wurde lediglich informiert, daß dies ein Wohnheim für selbständige, als geheilt entlassene Patienten ist, die hier für eine gewisse Zeit unter lockerer Supervision unterkommen können. Natürlich gebe ich Ihnen recht, Carolyn – es wäre wünschenswert, daß jedes Gebäude behindertengerecht konzipiert wird, aber trotz meiner baulichen Veränderungen bleibt das Gebäude hier ein schmales, vierstöckiges Haus. Sicher wäre es besser, wenn Patienten und auch Angestellte, die im Rollstuhl sitzen, an besser ausgerüstete Häuser verwiesen werden.«
Die beiden Frauen wechselten vielsagende Blicke, ironisch, ein wenig verächtlich. Ganz offensichtlich stand auch Pandora nicht auf meiner Seite, aber sie überließ das Reden anscheinend gern Carolyn.
»Jane«, meinte Carolyn, »ich bin nicht hergekommen, um auf dem Gehweg über Behindertenpolitik zu diskutieren. Und ich will auch nicht feilschen. Ich bin einfach nur gekommen, um sicherzustellen, daß Sie sich über Vorstellungen der Stadtverwaltung zum Thema Gebäude-zugang im klaren sind. Eigentlich hätte man Sie darüber längst in Kenntnis setzen müssen.«
»Und was sollen wir nun machen?« fragte ich matt. »Ich meine, in diesem spezifischen Fall.«
»Ich würde es Ihnen gern selbst zeigen, wenn ich in das Haus hineinkäme«, antwortete Carolyn eisig. »Aber Sie müssen wohl einen Termin mit einem anderen Kollegen aus meiner Abteilung vereinbaren.«
»Wer finanziert die zusätzlichen Baumaßnahmen?«
»Wer finanziert den Notausgang, Jane?« fragte Carolyn sarkastisch. »Wer finanziert die Doppelglasfenster?«
Ich spürte, wie die Wut in mir hochstieg, ganz egal, wie ungerecht das auch sein mochte.
»Wenn ich Mies van der Rohe wäre, würden Sie mich nicht zwingen, an jeder Ecke Rampen anzubringen.«
»Das würde ich sehr wohl, wenn Mies van der Rohe Gebäude in diesem Bezirk entwerfen würde«, entgegnete Carolyn ungerührt.
»Wer ist denn dieser Mies Dingsbums?« fragte Emily, als wir wieder im Wagen saßen.
»Wahrscheinlich einer der Hauptgründe, weshalb ich Architektin werden wollte. Seine Bauwerke basieren auf absoluter mathematischer Klarheit, auf geraden Linien, Metall und Glas. Sein tollster Bau war ein Ausstellungs-gebäude in Barcelona, in den zwanziger Jahren. Er war in der Form so rein, daß Mies nicht einmal eine Wand zum Aufhängen von Bildern freigeben wollte, weil das die Ausgewogenheit zerstört hätte.«
»Nicht gerade das Richtige für eine Ausstellung«, meinte Emily.
»Nein«, räumte ich ein. »Und mit diesem Wohnheim hätte er vermutlich auch nicht viel mehr Erfolg als ich. Als ich anfing mit der Architektur, haben wir noch daran geglaubt, daß man durch sie das Leben der Menschen verändern könnte. Im Augenblick scheint diese Idee aber nicht sehr viele Anhänger zu finden.«
»Was willst du jetzt machen?«
»Ich glaube, ich bin zu alt, um noch auf Anwältin mit Spezialgebiet Bürgerrecht umzuschulen.«
»Nein, ich meine mit dem Wohnheim?«
»Ach, das übliche. Ein paar Sachen kommen rein, ein paar andere raus. Ein bißchen von meiner ursprünglichen Inspiration geht verloren. Aber ich hab die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Solange sie mein Budget kürzen, kann ich fest davon ausgehen, daß man das Wohnheim unbedingt bauen will.«
Wir fuhren zurück zu meinem Büro. Dort machte ich Emily mit Duncan bekannt, und er zeigte ihr, wie sich sein Zeichenbrett verstellen ließ. Ich diktierte ein paar Briefe, die ich schneller selbst getippt hätte. Dann kochten wir Kaffee, und ich erzählte Emily ein bißchen über meinen Beruf und über die Ausbildung, soweit ich mich an sie überhaupt noch erinnerte. Nachdem wir eine Weile über alle möglichen anderen Themen geplaudert und etwas gegessen hatten, brachte ich sie nach Kentish
Weitere Kostenlose Bücher