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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ist.«
    »Glauben Sie, ich rede von etwas anderem?«
    »Was meinen Sie damit? Wollen Sie behaupten, daß ich die Antwort bereits kenne? Daß ich weiß, wer Natalie getötet hat?«
    » Wissen ist ein sehr kompliziertes Wort.«
    Plötzlich kribbelte etwas auf meiner Haut.
    »Sagen Sie, Jane, Sie haben sich doch an die Stelle zurückversetzt, an der Natalie zum letztenmal gesehen wurde. Ihr Engagement dabei hat mich sehr beeindruckt.
    Aber ich würde ganz gern noch von Ihnen wissen, welche Gefühle dieser Ort in Ihnen weckt? Macht er Ihnen Angst?
    Meinen Sie, dort erwartet Sie irgend etwas? Ein Geheimnis?«
    Auf einmal wurde mir eiskalt, was mir allerdings immer passierte, wenn ich längere Zeit auf der Couch lag, obwohl Alex’ Haus gut geheizt war.
    »Ja, er macht mir Angst. Warum interessiert Sie das, Alex?«
    »Ich habe immer versucht, Ihnen zu folgen, Jane. Ich habe Sie gefragt, wo der Kernpunkt von Natalies Verschwinden liegt, und Sie haben mir eine Landschafts-beschreibung gegeben. Ich möchte Sie dorthin schicken und sehen, was Sie vorfinden. Meinen Sie, das wäre einen Versuch wert?«
    »Ja, in Ordnung.«

    Also spielten wir unser inzwischen vertrautes Ritual durch. Alex’ Lob freute mich, ich kam mir beinahe vor, als wäre ich seine Musterschülerin. Er sprach leise auf mich ein. Mein Körper entspannte sich, ich schloß die Augen und versetzte mich wieder an den Col. Mit jeder Sitzung fiel mir das leichter. Ich saß wieder am Fuß von Cree’s Top, den Rücken an den trockenen bemoosten Felsen gelehnt, links von mir strömte der Fluß, die letzten zusammengeknüllten Papierfetzen verschwanden um die Biegung. Rechts lag der Waldrand mit den großen Ulmen.
    Es gelang mir, ohne weitere Anweisung aufzustehen und mich umzusehen. Jetzt war der Fluß rechts; er strömte auf mich zu und verschwand hinter mir. Die Ulmen und der Wald lagen zu meiner Linken. Ich blickte zu dem Pfad, der sich Cree’s Top hinaufschlängelte, gesäumt von dichten Büschen, hin und wieder zwischen ihnen verborgen. Dennoch konnte ich ihn fast vollständig überblicken. Heute wirkte alles viel lebendiger. Das Grün der Blätter war satter; sie hoben sich im Sonnenlicht deutlicher voneinander ab. Wenn ich den Kopf drehte, konnte ich mich auf jeden beliebigen Teil meiner Umgebung konzentrieren und ihn näher betrachten, sogar die kleinen Kiesel auf dem Weg, welche von vorüberge-henden Füßen zur Seite gestoßen worden waren, von Füßen, die den Weg ausgetreten hatten, so daß auch größere Steine und Baumwurzeln zum Vorschein kamen.
    Fast ohne eigenes Zutun schickte ich mich an, den Pfad entlangzugehen. Als ich zu Boden blickte, sah ich, daß ich weiße Tennisschuhe anhatte, die Sorte, die ich seit dem Ende der Schulzeit nicht mehr getragen hatte. Jetzt war ich schon ein ganzes Stück den Hügel hinaufgestiegen und hatte mich ziemlich weit von der Stelle entfernt, an der ich zuvor gesessen hatte. Wandte ich mich nach rechts, blickte ich den Abhang hinab zum Fluß, schaute ich nach links, sah ich den Wald, wo er sich Richtung Stead hinzog. Doch plötzlich verdunkelte sich alles. Ich blickte auf – eine dicke schwarze Wolke zog am Himmel über mich hinweg.
    Die Luft wurde kalt, ich schauderte. Blitzschnell drehte ich mich um und lief den Hügel hinunter. Sorgfältig nahm ich meine vorige Position wieder ein und spürte wieder den harten Felsen an meinem Rücken.
    Wenig später beschrieb ich Alex, was geschehen war.
    »Warum sind Sie nicht weitergegangen?«
    »Ich hatte Angst.«
    »Große Mädchen brauchen keine Angst zu haben.«

    19. KAPITAL
    »Hallo?«
    »Kann ich bitte mit Jane Martello sprechen?«
    »Ja, was ist denn los?«
    Ich war schlecht gelaunt. Zum vierten Mal an diesem Vormittag rief mich jemand von der Stadtverwaltung an, um über neue Veränderungen am Wohnheim zu sprechen.
    Morgen sollte der Ausschuß zusammentreten und die Genehmigung für das neue Budget geben – oder auch nicht. Die Gelder waren schon jetzt so zusammenge-strichen und an so viele Bedingungen geknüpft, daß ich meinen Namen dafür eigentlich gar nicht mehr hergeben wollte.
    »Jane, hier spricht Caspar. Caspar Holt.«
    »Wie bitte?«
    »Es war nicht notwendig, aber trotzdem vielen Dank für Ihre Postkarte.«
    Der Philosoph! Ich setzte mich hin und mußte erst einmal tief Luft holen.
    »Oh, ja klar. Ich wollte mich nur für mein Benehmen neulich abends entschuldigen.«
    »Unter den gegebenen Umständen haben Sie sich sehr selbstbewußt verhalten. Ich würde

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