Der Glaspavillon
Colvins wohnten am Stadtrand von Oxford in einem protzigen Haus mit Swimmingpool und einem Meer von Rhododendron. Ich habe diese Pflanzen schon immer gehaßt: leuchtende Blüten und glänzende Blätter und darunter keine Spur von Leben. Chrissie hätte ich nicht wiedererkannt. Als ich sie das letztemal gesehen hatte, war sie schlank und groß gewesen, mit auffallenden blonden Haaren, die sie stets zu einer Hochfrisur auftürmte. Jetzt schien sie irgendwie kleiner – vielleicht nur deshalb, weil sie soviel breiter geworden war. Ihr rundlicher Körper war in eine enge weiße Hose und eine grüne Bluse gezwängt, dazu trug sie hohe Absätze. Keine Spur mehr von der wilden Schönheit des mageren Mädchens. Ihr dick aufgetragenes Make-up konnte ihre Nervosität nicht verbergen.
Wir schüttelten einander die Hände, und während wir noch zögerten, ob wir uns auf die Wange küssen sollten oder nicht, trat ein untersetzter Mann in einem grauen Anzug aus dem Haus, schloß mich freundlich in die Arme und übertönte Chrissies halbherziges Bemühen, uns bekanntzumachen, mit den Worten: »Wie schön für Chrissie, nach so langer Zeit eine alte Schulfreundin wiederzusehen. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört, Jane.« Was ich bezweifelte. »Tee? Oder hätten Sie lieber etwas Hochprozentiges?«
»Tee wäre wunderbar, danke.«
»Gut. Dann lasse ich euch zwei Hübschen jetzt allein, damit ihr euch in Ruhe unterhalten könnt. Ihr habt euch bestimmt viel zu erzählen.«
»Ian ist Geschäftsführer in einer Firma«, sagte Chrissie, als würde das irgend etwas erklären. Wir gingen ins Haus.
Von oben hörte man brave Klavierübungen. »Meine Tochter, Chloe. Leonore ist bei einer Freundin.«
Wir ließen uns im Wohnzimmer nieder, zwischen prall aufgeschüttelten Kissen und Kunstdrucken mit Blumen und Landschaften. Allerdings bot mir Chrissie nicht den versprochenen Tee an.
»Warum bist du wirklich hier?«
»Hast du von der Sache mit Natalie gehört?«
Sie nickte.
»Deshalb.«
Chrissie sah sich nervös um, als erwartete sie, daß ihr Ehemann unter der Tür erschien und lauschte.
»Ich hab dazu nichts zu sagen, Jane. Das ist mehr als zwanzig Jahre her, und ich will nicht mehr daran denken, geschweige denn, darüber reden.«
»Fünfundzwanzig Jahre.«
»Dann eben fünfundzwanzig. Bitte, Jane.«
»Wann hast du Alan zum letztenmal gesehen?«
»Ich hab doch gesagt, ich will nicht darüber reden. Ich will nicht mehr daran denken.«
»Weiß dein Mann, daß du eine sexuelle Beziehung mit Alan Martello hattest, als du fünfzehn warst? Hat er Verständnis für so was?«
Chrissie zuckte sichtbar zusammen und starrte mich an.
Ein bißchen tat sie mir leid, aber innerlich triumphierte ich, weil ich sah, daß sie trotz aller Proteste mit mir sprechen würde. Sie zuckte die Achseln.
»Ich habe Alan seit Natalies Verschwinden nicht mehr gesehen. Ich erwarte ja nicht, daß du es verstehst, aber er war damals für mich so … so faszinierend, wenn du das begreifen kannst. Ich war bloß ein Kind, und er war berühmt, er hat mir Geschenke gemacht und mir gesagt, ich wäre schön.« Sie lachte bitter: »Das kommt einem jetzt komisch vor, was? Als er mit mir ins Bett wollte, hatte ich keine Chance, nein zu sagen.« Sie blickte auf ihre makellosen, rotlackierten Fingernägel und fügte, fast ein wenig selbstgefällig, hinzu: »Beinahe hätte er mein Leben ruiniert. Warum machst du nicht Alan Vorwürfe?«
»Komm schon, Chrissie, übertreib nicht. Es ging nur um Sex. Hast du es nicht auch genossen?«
»Ich weiß nicht. Ich denke nicht darüber nach.«
»Wie hat Martha es erfahren? Alan gibt sonst nicht mit seinen Seitensprüngen an.«
Chrissie musterte mich erstaunt. »Von Natalie natürlich.
Hast du das nicht gewußt? Sie ist uns einmal in den Wald gefolgt. Und hat uns tatsächlich erwischt.«
Auf ihrem Gesicht lag ein selbstzufriedener Triumph.
»Und was ist dann passiert? Habt ihr gesehen, daß sie euch beobachtet?«
»Ja.«
»Und?«
»Was erwartest du? Alan fing an zu jammern, ist zu Natalie gekrochen, hat an ihrem Rock rumgezupft und ihr gesagt, sie sei doch sein liebes kleines Mädchen, sie solle ihrem alten Vater seine kleinen Eskapaden nachsehen, sie wisse doch, wie die Männer sind und wie furchtbar weh es Martha tun würde. Es war ganz schön peinlich.«
»Was hat Natalie gemacht?«
»Sie ist einfach weggegangen.«
»Und Alan?«
Sie sah mir direkt ins Gesicht. Zum erstenmal erkannte ich den herausfordernden,
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