Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
furchtlosen Blick der heran-wachsenden Chrissie. »Er hat mich wieder auf den Boden geschubst und mich gefickt. Ich glaube, die ganze Sache hat ihn erregt. Aber es war das letztemal.« Eine eisige Stille folgte. »Jetzt kannst du alles meinem Mann erzählen.«
    »Danach bist du mit Theo gegangen, stimmt’s?«
    »Frag ihn doch.«
    »Und was ist mit Natalie? Du weißt, daß sie schwanger war, oder?«
    »Ich hab die Zeitung gelesen.«
    »Wer, glaubst du, war der Vater?«
    »Das weiß ich nicht. Dieser Dingsbums, Luke McCann vermutlich.«
    Als ich wegfuhr, winkte mir Chrissies erfolgreicher Ehemann fröhlich nach.
    »Kommen Sie bald wieder, Jane. Es freut mich immer, Chrissies alte Freundinnen bei uns zu begrüßen.«
    Aus dem Auto sah ich Chrissie, eine Frau mittleren Alters mit zu dick aufgetragenem Lippenstift, und am oberen Fenster ein Mädchen, vermutlich Chloe, die klavierspielende Tochter. Sie sah genauso aus wie Chrissie vor fünfundzwanzig Jahren. Bestimmt schwer zu verkraf-ten für ihre Mutter.

    18. KAPITEL
    Entgegen aller Erwartungen merkte ich, daß durch die Therapie mein Bedürfnis, andere zu verurteilen, abnahm.
    Statt mir über Martha und Chrissie stundenlang das Hirn zu zermartern oder in Gedanken eine fruchtlose Debatte über sie zu führen, konnte ich jetzt mit Alex darüber sprechen. Weder schockierte ihn, was ich erzählte, noch machte es ihn an, und obgleich er mich manchmal kritisierte – gelegentlich sogar ziemlich heftig –, mußte ich mich nie bei ihm entschuldigen. Wenn es darauf ankäme, wäre er auf meiner Seite, davon war ich fest überzeugt. Ich vertraute ihm. Na ja, wem sollte ich sonst vertrauen?
    Am Tag nach meiner Rückkehr nach London erschien ich mit einer Menge Weihnachtspäckchen bei ihm, als wäre ich auf der Durchreise. Ich lehnte meine Taschen und Beutel gegen die Couch. Während ich redete, ließ ich die Finger hin und wieder über das zerknitterte Plastik gleiten
    – das gab mir das beruhigende Gefühl, daß es noch normale Dinge gab. Als ich von Martha und meinem Vater erzählte, befürchtete ich schon, Alex würde lachen, weil sich die Geschichte so ungeheuer banal und jämmerlich anhörte. Aber er lachte nicht und äußerte auch kein albernes Mitgefühl. Dann beschrieb ich meine Begegnung mit Chrissie, etwas besorgt, er würde sich vielleicht ärgern über meinen neuerlichen Versuch, die Amateurdetektivin zu spielen. Etwas kleinlaut wiederholte ich das, was Chrissie mir über Alan und Natalie offenbart hatte, und zu meiner Überraschung nickte Alex interessiert.
    »Ich kann Sie nicht von Ihrer Schnüffelei abbringen, was?«

    Er klang ein bißchen verzweifelt, mehr nicht.
    »Ich schnüffle nicht, Alex. Ich stöbere nur ein bißchen herum. Ich habe ständig das Gefühl, ich müßte etwas suchen. Ich weiß nur nicht genau, was.«
    »Ja.« Alex klang sehr nachdenklich. »Ich frage mich nur, ob Sie vielleicht am falschen Ort suchen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie sind wirklich faszinierend, Jane. Sie beherrschen irgendeinen ganz raffinierten Zaubertrick. Wenn Sie in die eine Richtung deuten, habe ich sofort das Gefühl, das Wichtige passiert irgendwo ganz anders.«
    »Das ist mir zu hoch.«
    »Natürlich führen Sie sich selbst auch an der Nase herum. Etwas Bedrohliches liegt vor Ihnen, und Sie wollen es finden und ihm gleichzeitig um jeden Preis aus dem Weg gehen.«
    »Was wollen Sie denn damit sagen, Alex? Glauben Sie, ich bin auf der richtigen Spur?«
    Wieder kehrte eine von Alex’ langen Pausen ein. Ich spürte meinen Atem und mein Herz, das wie ein Gummiball in meiner Brust hüpfte. Gleich würde etwas passieren, etwas Wichtiges.
    »Mir scheint, Jane, Sie sind auf dem richtigen Weg –
    insofern, als ich glaube, daß es mit Sicherheit etwas zu finden gibt. Aber Sie suchen an der falschen Stelle. Sie unterhalten sich mit Leuten, die Ihre Probleme unmöglich lösen können. Wo Sie wirklich suchen sollten, ist hier drin.«
    Als ich Alex’ kühle Hand auf meiner Stirn spürte, wäre ich fast von der Couch gesprungen. Es war nicht das erste Mal, daß er mich berührte, aber es fühlte sich erschreckend vertraut an. Ganz bestimmt hatte er mich irgendwie mißverstanden.
    »Alex, ich bestreite nicht, daß Ihre Therapie wichtig ist und mir hilft. Aber wenn ich mit anderen Leuten spreche, dann habe ich das Gefühl, daß ich auf meine verwirrte und übertriebene Art etwas Bestimmtes suche. Ich suche etwas da draußen, die Wahrheit über etwas, das wirklich passiert

Weitere Kostenlose Bücher