Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Wir stiegen die Treppe wieder hinunter und durchquerten zwei Räume.
    »Sehen Sie mal hier durch.«
    Es war eine Art Totempfahl, der aus Einzelteilen verschiedener Säulen zusammengesetzt war. In ihn war der Name »Fanny« eingeritzt. Ich wandte mich zu Caspar um.
    »Und?« fragte ich.

    »Das ist das Grab des Hundes, der John Sloanes Frau gehört hat. Aber seine Tochter hieß auch so.«
    »Ich dachte, Fanny wäre ein Name, den man wegen seiner anrüchigen Nebenbedeutungen nicht mehr benutzen darf.«
    »Ich habe versucht, ihn wiederzubeleben.«
    »Sind Sie verheiratet?«
    »Nein. Ich lebe allein.«
    »Tut mir leid.«
    »Das muß es nicht.«
    Draußen blinzelten wir im kühlen Winterlicht und grinsten uns etwas dümmlich an. Dann warf Caspar einen Blick auf seine Armbanduhr.
    »Mittagessen?«
    »Geht eigentlich nicht.«
    »Bitte.«
    »Na gut.«
    Wir spazierten nach Soho, an den Delis und Sexshops vorbei, zu einem italienischen Café-Restaurant. Dort bestellten wir Toast mit Ziegenkäse, halb geschmolzen, und grünen Salat. Obwohl ich tagsüber eigentlich keinen Alkohol trinke, genehmigten wir uns beide ein Glas Weißwein. Nach einem Blick auf meine unberingte Hand erkundigte sich Caspar, ob ich verheiratet sei. Früher mal, antwortete ich. Und ich fragte ihn, wie alt seine Tochter war. Fünf. Viele Leute meinten, er wäre eine Art Superman, weil er das tat, was Hunderttausende Frauen tun, ohne daß jemand davon Notiz nimmt.
    »Bevor es Fanny gab, wußte ich nicht, was Liebe ist – so albern dieses Mädchen manchmal auch sein kann«, sagte er.

    Ich erzählte ihm von Robert und Jerome, wie groß und erwachsen sie waren, wie sie mich beschützten, mir stets hilfreich zur Seite standen, und er erwiderte, er würde sie gern irgendwann mal kennenlernen. Eine Hoffnung erwachte in mir – möglicherweise gab es ja eine Zukunft, ein »irgendwann mal«. Mir wurde schwindlig, ich bekam Angst. Also zündete ich mir eine Zigarette an und sagte dann, ich müsse gehen. Er versuchte nicht, mich aufzu-halten, brachte mich nur zu meinem Fahrrad, sah mir zu, wie ich fahrig mit meinem Schloß und dem Helm herum-hantierte und schließlich unsicher davonradelte.
    Ich kam mir vor wie ein Teenager, schwindlig vor Aufregung, und gleichzeitig fühlte ich mich wie eine alte Frau, die mit Hunderten kleiner, einschneidener Fesseln in ihr Gefängnis zurückgezerrt wird. Ich konnte eine Affäre mit Caspar anfangen – nein, als ich daran dachte, wie er mir die Hand so sanft auf die Schulter gelegt und mich mit seinen grauen Augen angesehen hatte, wußte ich, daß eine Beziehung mit Caspar möglich war. Wir konnten nicht einfach eines Abends nach einer Flasche Wein miteinander ins Bett steigen, nein, wir würden uns in der Vergangenheit des anderen vertiefen, alte Wunden auf-decken, dem berauschenden Schmerz der Liebe verfallen.
    Das Problem lag nicht darin, daß ich für so etwas nicht bereit gewesen wäre – das sagen einem die Therapeuten immer: Man soll warten, bis man wieder stark ist, bis man gelernt hat, mit der Einsamkeit zu leben. Ha, ich war mehr als bereit. Ich hatte mich vor langer Zeit zum letztenmal der Liebe geöffnet. Es konnte losgehen, aber ich hatte Angst. Ich war müde. In meinen Schläfen pochten leichte Kopfschmerzen. Das hatte ich nun davon – Weißwein zum Mittagessen.
    Ich radelte die mit Weihnachtslichtern geschmückte Oxford Street entlang. Gott, wie ich die penetranten Disney-Figuren hasse, die heutzutage alles andere verdrängen. Ich hatte meine Weihnachtseinkäufe noch nicht ganz erledigt, nur für Dad hatte ich ein Fernglas erstanden und ansonsten eine Menge lächerlicher Kleinigkeiten für den Nikolausstrumpf. Diese Sitte hatten wir beibehalten, nachdem die Kinder längst entdeckt hatten, daß ich der Weihnachtsmann war. Den frühen Weihnachtsmorgen hatte ich schon immer am liebsten gemocht.
    Dann drängelten sich alle in meinem Schlafzimmer, setzten sich aufs Bett und zogen Unterhosen, Seife oder Korkenzieher aus den zweckentfremdeten Kissenbezügen.
    Auf einmal fiel mir ein, daß ich dieses Jahr an Weihnachten vielleicht allein sein würde; natürlich kamen die Jungs zum Essen, und auch mein Vater. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, Claud einzuladen, weil ich die Vorstellung nicht ertragen konnte, wie er ein ordentlich abgepacktes TV-Dinner zu sich nahm. Andererseits besuchte er wahrscheinlich Martha und Alan. Es konnte aber genausogut sein, daß ich am Weihnachtsmorgen in einem

Weitere Kostenlose Bücher