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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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deiner Mutter verschwie-gen, und Alan hat auch nichts erfahren. Wir waren sehr vorsichtig. Schließlich wollten wir niemanden verletzen.«
    Wieder hielt sie inne und nahm einen kleinen Bissen von ihrem Kuchen.
    »Aber Natalie fand einen Brief, den Christopher mir geschrieben hatte. Allem Anschein nach hatte sie meine Schubladen durchwühlt, jedenfalls hielt sie ihn mir eines Tages unter die Nase. Komischerweise wirkte sie eigentlich nicht wütend, sondern eher triumphierend. Sie warf mir vor, ich würde immer so tun, als wäre ich etwas Besseres als Alan, und dabei sei ich doch genauso. Sie wollte deiner Mutter und Alan Bescheid sagen. Sie meinte«, Marthas Stimme klang belegt, »sie meinte, das sei ihre Pflicht.«
    Martha schwieg. Es war ganz still in der Küche, während sie darauf wartete, daß ich etwas sagte.
    »Hat sie es jemanden erzählt?«
    »Ich glaube nicht. Nicht daß ich wüßte.«
    »Vielleicht hat sie es Alan gesagt.«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Warum erzählst du mir das jetzt, nach all den Jahren?«
    Müde zuckte Martha die Achseln. »Vielleicht weil jetzt ein guter Zeitpunkt ist, um alte Familiengeheimnisse zu lüften. Vielleicht weil ich bald sterbe und beichten will.
    Und weil ich dachte, du verstehst mich. Vielleicht weil du diejenige bist, die nach der Wahrheit sucht.«
    Ich sagte nichts. Ich hätte auch nicht gewußt, was ich erwidern sollte. Ich wußte nicht mal, was ich dachte. Ohne Erfolg versuchte ich mir meinen Vater mit Martha vorzustellen; es gelang mir lediglich, sie zu sehen, wie sie jetzt waren: alt, mit papierdünner Haut und starren Angewohn-heiten. Martha blätterte zurück bis zur Seite mit dem Mädchen und dem Sonnenuntergang.
    »Das ist Natalie«, erklärte sie. »Ich weiß, das Mädchen sieht ihr nicht ähnlich, außer der Mund vielleicht. Aber so stelle ich mir sie immer vor, wenn ich an sie denke. Sie war eine Einzelgängerin, weißt du. Sie hat sich zwar für das Leben anderer Menschen interessiert, sie hatte Freunde und ging auf Partys, aber sie war immer allein. Ich war ihre Mutter, und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, sie war eine Fremde. Meine Söhne taten immer furchtbar erwachsen und unabhängig, sie haben mich mit einem Achselzucken links liegenlassen, wenn ihre Freunde in der Nähe waren, aber sie haben mich gebraucht, und sie waren immer so leicht zu durchschauen. Aber von Natalie fühlte ich mich oft zurückgestoßen. Dabei habe ich immer gedacht, wir würden ein besonders enges Verhältnis haben
    – zwei Frauen in einem Männerhaushalt.«
    Sie stand auf und räumte die Teller ab. »Jetzt mußt du aber die Telefonate erledigen, die du vorhin erwähnt hast, und ich hole dir die Ableger für deinen Garten.« Damit schlüpfte sie in ihre Jacke, nahm eine Gartenschere und verschwand durch die Hintertür.
    Mechanisch folgte ich ihrer Anweisung und blätterte in meinem Adreßbuch, bis ich den Namen Judith Parsons gefunden hatte (geborene Gill, eine meiner besten Freundinnen in der High-School). Sie war überrascht und erfreut, daß ich mich bei ihr meldete: Wie ging es mir in London, was machten meine Söhne, war es nicht schrecklich, wie die Zeit verflog, ja es wäre wunderbar, wenn wir uns mal treffen könnten – Brendon und sie fuhren gelegentlich nach London, da würde sie mich mal anrufen. Als wir uns verabschiedeten, fragte ich sie, ganz nebenbei und mit schlechtem Gewissen, ob sie zufällig Chrissie Pilkingtons Nummer hätte. Ich erklärte ihr, daß ich einen Auftrag in der Gegend von Chrissies Haus hätte und dächte, es wäre nett, auch mit ihr wieder Kontakt aufzunehmen. Judiths Begeisterung flaute etwas ab. Ja, sie habe die Nummer, aber Chrissie heiße jetzt Colvin; dankbar notierte ich die Nummer in mein Buch und wählte erneut.
    Christine Pilkington, verheiratete Colvin, freute sich allerdings nicht sonderlich, von mir zu hören, was ich gut verstehen konnte. Fünfundzwanzig Jahre waren seit unserer letzten Begegnung verstrichen, und mein Anruf weckte Erinnerungen, die sie sicher lieber verdrängt hätte.
    Schließlich erklärte sie sich zögernd bereit, am Spätnachmittag eine Tasse Tee mit mir zu trinken. Ich notierte mir die Wegbeschreibung. Kurz bevor ich auflegte, sagte Chrissie plötzlich: »Mein Mann wird auch da sein, Jane.«
    Martha packte die Ableger in meinen Kofferraum, dann deutete sie auf die Stapel mit Kinderbücher auf dem Tisch.
    »Die sind für deine Enkelkinder, Jane. Irgendwann mal.«
    Und dann umarmten wir uns endlich.

    Die

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