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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Sekunden saßen wir schweigend da, dann wurde es mir plötzlich unangenehm, und ich rückte von ihm ab.
    »Was machst du an Weihnachten?« Meine Stimme klang viel zu fröhlich.
    Jetzt machte er ein verlegenes Gesicht. »Weißt du das nicht? Ich wollte eigentlich zu Martha und Alan, aber Paul hat mich eingeladen, den Tag mit ihm und Peggy zu verbringen.«
    »Aber sie kommen zu mir!« Ein paar unfreundliche Gedanken schossen mir durch den Kopf.
    »Paul meinte, es macht dir sicher nichts aus.«
    »Aber das ist vollkommen unmöglich, Claud. Nein, das geht nicht. Dad wird da sein, Kim und ihr neuer Freund, die Jungs und Hana. O Scheiße, außerdem natürlich noch ein Fernsehteam, das einen Film über uns dreht. Was sollen wir deiner Meinung nach alle tun? Die glückliche Familie spielen oder was?«
    »Du hast doch selbst gesagt, wir können Freunde bleiben.«
    Das hatte ich wirklich gesagt. Es war ein blödes Klischee, ein falscher Trost und obendrein eine glatte Lüge, aber ich hatte es trotzdem gesagt.
    »Und ich möchte Weihnachten gern mit meinen Söhnen verbringen.«
    Ich wußte, es war ein schrecklicher Fehler. Was würde Kim sagen?
    »In Ordnung.«

    21. KAPITEL
    Ich saß da, und das trockene Moos drückte sich gegen meine Wirbelsäule. Ich wußte, daß Cree’s Top hinter mit war. Links floß der Col; er war schiefergrau wie die Wolken, die die Sonne verdeckten. Plötzlich war mir kalt in meinem ärmellosen Kleid, und ich schlang meine von einer prickelnden Gänsehaut bedeckten Arme eng um mich. Die zerknüllten Papierfetzen waren auf dem dunklen Wasser kaum zu erkennen; sie trieben weg von mir und verschwanden im Gefunkel des reflektierenden Lichts, lange vor der Flußbiegung. Die Zweige der Ulme zu meiner Rechten raschelten und wogten im plötzlich aufkommenden Wind, der Regen ankündigte.
    Ich stand auf und drehte mich um. Nun blickte ich auf Cree’s Top und den Weg, der sich seinen Abhang emporschlängelte. An manchen Stellen verbarg er sich hinter dichtem Buschwerk, bis er schließlich ganz vom Halbdunkel verschluckt war. Jedesmal, wenn ich zu diesem Fluß und diesem Hügel zurückkehrte, die mich von Natalie trennten, erschien mir meine Umgebung wieder etwas lebensechter. Das Gras war grüner, der Fluß viel deutlicher mit all seinen kleinen Wellen und Wirbeln.
    Diesmal wirkten die Dinge nicht nur prägnanter, sondern irgendwie auch härter. Das Wasser erschien schwerer und träger, der Weg unter meinen Füßen starrer, sogar die Blätter sahen aus, als könnte man sich in den Finger schneiden, wenn man sie berührte.
    Eine feindselige unzugängliche Landschaft, die ihre Geheimnisse nicht freiwillig offenbaren wollte. Jetzt näherte ich mich dem Gipfel von Cree’s Top und war mir fast ganz sicher, daß mich auf der anderen Seite etwas Böses erwartete. Deshalb war alles so dunkel geworden.
    Mein Körper, mein ganzes Inneres, alles versank in Hoffnungslosigkeit. Wollte ich wirklich, was ich da tat?
    Ein Augenblick der Schwäche genügte. Ich machte kehrt und rannte den Abhang hinunter, weg von dem, was auch immer mich dort erwartete. Konnte ich in dieser geliebten Landschaft meiner Erinnerung nicht woanders hingehen?
    Ich erreichte den Fuß von Cree’s Top und rannte am Col entlang. Instinktiv wußte ich, daß der Weg vom Ufer wegführte und mich zu Stead zurückbringen würde, wo ich die Familie vorfinden würde, wie sie einst war: Theo, groß und finster, Martha, dunkelhaarig und wunderschön, lachend und stark, mein Vater, gutaussehend und noch voller Hoffnung auf ein erfülltes Leben. Die Überbleibsel jener goldenen Sommerparty.
    Doch rasch wurde mir der Weg fremd, als hätte ich die Grenze zu einem verbotenen Land überschritten. Der Wald wurde dichter, der Himmel verschwand, dann kam ich auf Alex’ Couch zu mir. Tränen strömten über mein Gesicht. Es war absurd, aber ich mußte mich aufsetzen, um mir Hals und Ohren abzuwischen. Mit besorgtem Blick beobachtete mich Alex. Ich erklärte ihm, was ich versucht hatte, aber er schüttelte tadelnd den Kopf.
    »Jane, Sie sind nicht in Narnia oder in Oz oder in irgendeinem Märchenwald, in dem Sie mal hierhin und mal dorthin gehen können. Sie erforschen Ihr eigenes Gedächtnis. Sie müssen sich von ihm führen lassen. Haben Sie nicht das Gefühl, daß Sie beinahe am Ziel sind?«
    Alex Dermot-Brown war kein Mann, den ich normalerweise als meinen Typ betrachtet hätte. Er war ein etwas schmuddeliger Mensch und lebte in einem ebensolchen Haus. Seine Jeans

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