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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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die sich weigerten, ihre Medikamente regelmäßig einzunehmen, kamen für ein Wohnheim von vornherein nicht in Frage. Dann machte Pauline einen Fehler, einen fatalen Fehler, wie ich später dachte. Sie sprach von Vorurteilen gegen psychisch gestörte Menschen, die auf falschen Informationen basier-ten, und schloß ihre Ausführungen mit der Bemerkung, man dürfe nicht zulassen, daß solche Vorurteile politische Entscheidungen beeinflußten. Falls das eine Einschüch-terungstaktik sein sollte, mit der sie das Publikum dazu bringen wollte, unseren Standpunkt zu akzeptieren, so ging der Schuß eindeutig nach hinten los.
    Ein Mann erhob sich und meinte, diese ganzen medizinischen Argumente seien ja vielleicht richtig, aber es gehe hier doch auch um Eigentumswerte. Im Publikum befänden sich eine Menge Leute, die ihr ganzes Leben für ihr Haus gespart hatten. Warum sollten all diese Leute ihr Heim einem neumodischen Dogma opfern, das sich irgendwelche Soziologen ausgedacht hatten, die wahrscheinlich ruhig und gemütlich irgendwo in Hampstead wohnten?
    Chris’ Antwort hörte sich an, als würde er beim Sprechen seine Zunge verschlucken. Er meinte, er hätte gehofft, daß die medizinischen Erläuterungen alle Ängste in dieser Richtung ausräumen würden. Aber der Mann erhob sich erneut. Diese ganzen medizinischen Erläuterungen seien reine Zeitverschwendung, verkündete er. Für Nichtbetroffene sei es leicht, sich über irgendwelche sogenannten Vorurteile auszulassen. Ob an ihnen nun was dran sei oder nicht, potentielle Hauskäufer würden jedenfalls in Zukunft wegbleiben.
    Törichterweise stellte Chris darauf die Frage, wie er denn solche Bedenken ein für allemal zerstreuen könne, worauf ihn der Mann anbrüllte, die Anwohner hätten keinerlei Interesse daran, ihre Bedenken zerstreuen zu lassen. Sie wollten, daß das Wohnheimprojekt abgeblasen wurde, Schluß, aus. Jetzt erhob sich ein gutaussehender Mann in einem Tweedjackett und einem Hemd mit offenem Kragen. O Gott! Es was Caspar.
    »Ich möchte eigentlich nicht direkt eine Frage stellen, sondern eher einen Kommentar abgeben«, sagte er und blinzelte durch seine Nickelbrille. »Ich überlege die ganze Zeit, ob es vielleicht am besten wäre, wenn sich die Leute hier, sozusagen als Gedankenexperiment, vorstellen würden, dieses Wohnheim sollte in einer anderen englischen Stadt gebaut werden. Würden wir das Projekt gutheißen, wenn wir damit kein persönliches Risiko eingingen?«
    »Das ist doch alles Scheiße!« schrie der Mann, der die Eigentumswerte ins Spiel gebracht hatte, den erschrocke-nen Caspar an. »Was glauben Sie denn, warum wir heute hierhergekommen sind? Wenn irgendwo etwas für diese Leute gebaut wird, die keiner haben will, warum nimmt man dann nicht ein Industriegelände oder eine stillgelegte Fabrik?«
    »Wir könnten vielleicht auch zu den guten alten viktorianischen Irrenanstalten zurückkehren«, meinte Caspar.

    »Heißt es nicht immer, man soll ein Stück rohes Fleisch drauflegen?« fragte Caspar. »Autsch!« Er zuckte zusammen, während ich sein Auge mit Watte abtupfte.
    »Ich muß erst mal die Wunde säubern. Und rohes Fleisch habe ich sowieso nicht. Höchstens ein paar Würstchen in der Gefriertruhe.«

    »Die könnten wir ja essen«, schlug Caspar hoffnungsvoll vor, dann zuckte er wieder zusammen. »Glaubst du, es sind Glassplitter drin?«
    »Nein, wohl kaum. Das Glas ist in ein paar große Scherben zerbrochen, und der Schnitt kommt vom Gestell. Und von der Faust dieses Mannes natürlich. Ich kann nur wiederholen, daß es mir wirklich furchtbar leid tut, was da passiert ist. Es ist alles meine Schuld.«
    »Na ja, nicht ganz.«
    Wir befanden uns in meinem Haus. Paul Stephen Avery aus der Grandison Road war von zwei stämmigen Polizisten abgeführt worden, die Versammlung hatte sich im Chaos aufgelöst. Caspar hatte jede medizinische Behandlung abgelehnt, konnte aber nicht selbst nach Hause fahren, weil seine Brille ja kaputt war. Deshalb hatte ich mein Fahrrad hinten in seinen Wagen verstaut und war mit ihm zu mir gefahren, wo ich darauf bestand, daß er sein Auge wenigstens von mir verarzten ließ. Die so entstandene Nähe war mir nicht unangenehm.
    »Ich dachte, du hältst nichts von intellektuellen Debatten«, sagte ich, während er schon wieder zuckte.
    »Tut mir leid, ich bin schon so vorsichtig wie möglich.«
    »Theoretisch halte ich nichts davon. Ich hatte eigentlich nur vorgehabt, mir anzusehen, wie du in Aktion trittst.
    Aber als der

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