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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Dame.“
    „So, das ist was anderes“, erwiderte Liénarde.
    Es folgte eine kurze Pause. Der Unbekannte unterbrach sie: „Es ist eine ganz neue und noch nicht aufgeführte Moralität.“
    „Es ist also nicht dieselbe“, begann Gisquette aufs neue, „die man vor zwei Jahren beim Einzuge des Herrn Legaten hielt, wo drei schöne Mädchen auftraten …“
    „Sirenen“, unterbrach sie Liénarde.
    „Ganz nackte Mädchen“, fügte der junge Mann hinzu.
    Liénarde schlug schamhaft die Augen nieder; Gisquette sah sie an und tat dann dasselbe.
    Er fuhr lächelnd fort: „Das war schön anzuschauen. Aber heute gibt man eine Moralität, die für die Prinzessin von Flandern ganz besonders geschrieben wurde.“
    „Werden Schäferlieder da gesungen?“ fragte Gisquette.
    „Pfui“, antwortete der Unbekannte, „in einer Moralität! Ihr müßt die verschiedenen Arten des Schauspiels nicht verwechseln; das gehört in eine Posse.“
    „Wie schade!“ begann Gisquette aufs neue. „Am Springbrunnen der Klapprose kämpften an dem Tage wilde Männer und Frauen in schönen Stellungen und sangen kleine Verschen und Schäferlieder.“
    „Was sich für einen Legaten schickt, schickt sich nicht für eine Prinzessin“, sagte der Unbekannte in trockenem Ton.
    „Neben ihnen“, erzählte Liénarde, „spielten Instrumente schöne Weisen. Und um die Vorübergehenden zu erfrischen“, sagte Liénarde, „spritzte der dreifache Mund des Springbrunnens Wein, Milch und Muskateller; jeglicher trank, der Lust hatte. Und nicht weit von der Klapprose, bei der Dreifaltigkeit, ward eine Passion von nicht redenden Personen gegeben.“
    „Ob ich mich dessen erinnere!“ rief Gisquette. „Gott am Kreuz und die beiden Schächer rechts und links.“
    Hier fingen die beiden Gevatterinnen, erhitzt von der Erinnerung an den Einzug des Legaten, zugleich zu sprechen an.
    „Und bei dem Springbrunnen St. Innocenz stand ein Jäger, der beim Lärm der Hunde und Jagdhörner eine Hirschkuh verfolgte.“
    „Und bei den Schlächterbuden standen die Gerüste, die die Bastille von Dieppe darstellten.“
    „Weißt du noch, Gisquette, als der Legat vorrüberzog, lief man Sturm und schnitt allen Engländern die Kehlen ab.“
    „Und als der Legat über sie hinschritt, ließ man mehr als zweihundert Dutzend aller Arten Vögel fliegen. Das war sehr schön, Liénarde.“
    „Heute wird’s noch schöner sein“, unterbrach sie der junge Mann.
    „Ihr versprecht uns das Mysterium wird schön sein?“ fragte Gisquette.
    „Gewiß“, sagte er; dann fügte er mit nachdrücklichem Ton hinzu: „Ich bin der Dichter!“
    „Wahrhaftig?“ fragten die beiden Mädchen voller Staunen.
    „Wahrhaftig!“ erwiderte der Dichter, sich leicht räuspernd. „Das heißt, wir sind zwei, Jehan Marchand, der die Bretter fügte, das Gerüst aufschlug, und ich, der das Stück dichtete, ich heiße Peter Gringoire.“
    Der Dichter des Eid hat gewiß nie mit größerem Stolze gesagt: Pierre Corneille. Inzwischen wartete die noch vor einigen Minuten so unruhige Volksmasse sanftmütig und traute dem Worte des Schauspielers; denn es ist eine ewige Wahrheit, und man kann sich noch täglich auf unseren heutigen Theatern erproben: das beste Mittel, ein Publikum zum geduldigen Warten zu bringen, ist die Versicherung, daß man sogleich anfangen wolle.
    Der Student Johannes war aber nicht eingeschläfert. „Holla he!“ rief er plötzlich in die Stille der Erwartung hinein, die auf den Lärm gefolgt war. „Jupiter, Frau Jungfrau, Taschenspieler des Teufels! Foppt ihr uns? Das Stück! Das Stück! Fangt an oder wir fangen wieder an!“
    Mehr war nicht erfordert. Eine Musik von hohen und tiefen Instrumenten ließ sich aus dem Innern des Gerüstes vernehmen, vier buntscheckig geputzte und geschminkte Gestalten traten hervor, klommen die steile Leiter hinan und stellten sich, als sie oben das Gerüst betreten hatten, vor dem Publikum, das sie mit tiefer Verbeugung grüßten, in einer Reihe auf. Das Mysterium begann.
    Die vier Personen, nachdem sie für ihre Verbeugungen reichliche Bezahlung in Beifallklatschen erlangt hatten, begannen unter andächtigem Schweigen einen Prolog, mit dem wir den Leser gern verschonen. Übrigens beschäftigte sich das Publikum, wie dies heutzutage noch oft zu geschehen pflegt, mehr mit dem Anzug als mit der Rolle des Schauspielers; und in Wahrheit, dies war gerecht. Alle trugen halb weiß, halb gelbe Kleider, die sich nur durch den Stoff unterschieden. Der Rock des

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