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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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würdig der Judenschule, und dicken gelben Wachslichten. In der Mitte dieser Masse trugen Offiziere der Narrenbrüderschaft auf den Schultern eine Bahre, die mit mehr Wachskerzen überladen war, als das Reliquienkästchen der heiligen Genoveva in Zeiten der Pest; und auf der Bahre strahlte der neue Narrenpapst mit Kreuzen und der Mitra, der Glöckner von Notre-Dame, Quasimodo, der Bucklige.
    Es ist schwierig, sich einen Begriff von dem stolzen und glücklichen Gefühl zu machen, welches das traurige und häßliche Gesicht Quasimodos bei dem Zuge über den Grèveplatz enthüllte. Dies war der erste Genuß der Eigenliebe, den er jemals empfand. Bis dahin hatte er nur Erniedrigung, Verachtung für seinen Stand, Abscheu gegen seine Person erfahren. Wie taub er auch war, genoß er doch den Zuruf der Menge, die er haßte, weil er von ihr gehaßt ward. War auch sein Volk ein Haufen Diebe, Bettler, Krüppel und Narren, was kümmerte es ihn? Es war immer ein Volk, und er selbst dessen Herrscher. All jenen ironischen Beifall mit der spöttischen Achtung nahm er für Ernst; auch müssen wir berichten, daß im Volke sich hiermit wirklich einige Furcht mischte. Denn der Bucklige war stark, der Krummbeinige behend, der Taube boshaft, und diese drei Eigenschaften verminderten das Lächerliche. Übrigens sind wir weit davon entfernt, zu glauben, der neue Narrenpapst habe sich wirklich von seinen Empfindungen Rechenschaft geben können. Der Geist dieses verfehlten Leibes mußte selbst unvollständig und gleichsam taub sein. Auch war seine Empfindung im Augenblick durchaus unbestimmt und verwirrt. Nur Freude und Stolz herrschte vor. Die düstere und unglücklich Gestalt schien zu strahlen.
    Deshalb erblickte man plötzlich nicht ohne Überraschung und Schrecken in dem Augenblick, wo Quasimodo im halben Rausch vor dem Pfeilerhause im Triumph vorbeizog, wie ein Mann aus dem Volke hervorstürzte und ihm mit einer Bewegung des Zornes sein vergoldetes hölzernes Kreuz, das Würdezeichen seines Narrenpapsttums, entriß. Dieser Verwegene war der Kahlkopf, der, kurz vorher unter das Volk gemischt, die arme Zigeunerin mit Worten der Drohung und des Hasses erschreckt hatte. Er trug ein geistliches Kleid. Wie er aus dem Volke heraustrat, erkannte ihn Gringoire. „Sieh“, sagte er, „mein Meister als Hermes, Dom Claude Frollo, der Archidiakonus! Was Teufel will er mit dem häßlichen Einäugigen? Will er sich zerreißen lassen?“
    Es erhob sich ein Ruf des Schreckens. Der furchtbare Quasimodo stürzte sich die Bahre hinab, und die Frauen wandten die Augen weg, um nicht zu schauen, wie er den Archidiakonus zerriß. Wie ein Tiger sprang er auf den Priester zu, sah ihn an und fiel ihm zu Füßen. Der Priester entriß ihm seine Tiara, zerbrach sein Kreuz und zerriß seinen Talar von Flittergold.
    Quasimodo lag auf den Knien, senkte das Haupt und faltete die Hände. Dann begann zwischen beiden eine sonderbare Unterredung von Zeichen und Bewegungen; denn keiner von beiden redete. Der Priester stand da, wütend, drohend, gebieterisch. Quasimodo warf sich, demütig bittend, zu Boden. Und dennoch hätte er den Priester mit einer Bewegung seines Daumens zerschmettern können. Endlich schüttelte der Archidiakonus Quasimodos gewaltige Schulter und gab ihm ein Zeichen zu folgen. Quasimodo stand auf; da aber wollte, nachdem das erste Staunen vorüber war, die Narrenbruderschaft ihren mit so wenig Umständen entthronten Papst verteidigen. Die Ägypter, die Kauderwelschen und alle Parlamentsschreiber umringten lärmend den Priester. Quasimodo stellte sich hinter ihn, ließ seine Muskeln in athletischer Stellung spielen und knirschte wie ein wütender Tiger mit den Zähnen. Dann nahm der Priester seinen düsteren Ernst im Ausdruck wieder an, gab Quasimodo ein Zeichen und entfernte sich schweigend. Dieser ging voran und bahnte ihm den Weg, die Menge verteilend.
    Nachdem sie das Volk und den Platz durchschritten hatten, wollte ein Schwarm Neugieriger und Müßiggänger ihnen folgen. Da bildete Quasimodo die Nachhut und folgte, rückwärtsblickend, bissig starrend, seine Glieder gleichsam nachschleppend, dem Archidiakonus. Er bleckte die Zähne, brüllte wie ein wildes Tier und bewirkte häufig mit einer Bewegung oder einem Blick ein schnelles und zitterndes Schwanken in der Volksmenge.
    Man ließ sie beide in eine enge und dunkle Gasse dringen, wohin niemand ihnen zu folgen wagte.
    „Sehr sonderbar!“ sagte Gringoire, „wo kriege ich aber ein Abendessen

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