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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Valliers, die Krankheit aus Schrecken vor dem Schafott entsprang. Die furchtbarste aller Krankheiten, weil sie nicht von Gott, sondern vom Menschen kommt.
    Nur kurz sei gesagt, es ist ein tröstlicher Gedanke, daß die Todesstrafe, die vor dreihundert Jahren mit eisernen Rädern, steinernen Galgen, allen Werkzeugen des Mordens, auf dem Pflaster sich brüstend, den Grèveplatz, die Hallen, den Platz Dauphine, das Kreuz du Trahoir, den Schweinemarkt, das scheußliche Montfaucon, die Barrière der Sergeanten, den Katzenplatz, das Tor von St. Denis, Champeaux, die Tore St. Jacques und Baudets bedeckte, ohne der unzähligen Galgen der Prévots, des Bischofs, der Kapitel, Äbte und Priore, die Recht sprechen konnten, und der juristischen Ersäufungen im Seinefluß zu gedenken, es ist tröstlich, sage ich, daß die Todesstrafe gegenwärtig, nachdem sie allmählich alle Stücke ihres Wappens, ihren Luxus des Mordens, ihre Strafbarkeit der Entdeckungskraft, ihre Tortur, wofür sie alle fünf Jahre ein ledernes Bett im Grand-Châtelet neu verfertigte, gänzlich verloren hat; daß jene alte Lehnsherrin des Feudalstaates, aus unsern Gesetzten und Städten beinah vertrieben, von einem Gesetzbuch zum andern gehetzt und von einem Platze zum andern gejagt, im ungeheuren Paris nur einen entehrten Winkel des Grève, eine elende, verstohlen sich zeigende, sich schämende Guillotine besitzt, die stets zu befürchten scheint, auf der Tat ertappt zu werden: So schnell verschwindet sie nach Führung des Todesstreiches.

9. Besos para golpes*
    Als Peter Gringoire auf dem Grèveplatz ankam, eilte er, sich dem Freudenfeuer, das prächtig mitten auf dem Platze brannte, zu nahen; aber ein beträchtliches Gedränge bildete schon einen Kreis um die Flamme. Wie er sich aber den Kreis in der Nähe ansah, bemerkte er, jener sei größer, als daß er sich nur am Feuer des Königs hätte wärmen können, und die Zuschauer wären nicht allein von der Schönheit der hundert Reisigbündel, die man verbrannte, herbeigezogen. Ein junges Mädchen tanzte in dem Raume, der zwischen dem Feuer und den Zuschauern freigelassen war. Ob das junge Mädchen Mensch, Fee oder Engel war, konnte Gringoire, wie sehr er auch skeptischer Philosoph und ironischer Dichter sein mochte, im ersten Augenblick nicht entscheiden, so sehr ward er durch die Erscheinung geblendet. Das Mädchen war nicht groß, schien es aber zu sein; denn ihr feiner Wuchs strebte kühn empor. Ihre Haut war braun, allein man erriet, daß sie beim Tageslicht im schönen goldenen Reflex der Frauen Roms und Andalusiens erglänzte. Auch ihr kleiner Fuß war andalusisch; denn er paßte genau und bequem in den engen, anmutvollen Schuh. Sie tanzte, wirbelte auf einem alten persischen Teppich, der nachlässig unter ihren Füßen ausgebreitet lag; und wenn im Drehen die strahlende Gestalt dahinflog, warfen ihre großen schwarzen Augen Blitze in die Runde. Im ganzen Umkreis war jeder Blick auf sie geheftet; jeder Mund geöffnet, und wirklich, während sie beim Rauschen der baskischen Trommel, die ihre runden, reinen Arme über dem Haupte hielten, schlank, munter, wie eine Wespe, im goldnen, straffen Leibchen, im bunten Rock, der sich blähte, mit nackten Schultern tanzte, während ihre schönen Beine bisweilen unter dem Rock hervorschlüpften, erschien sie mit dem dunkeln Haar und dem flammenden Augen wie ein höheres Wesen.

    * Spanisch: Küsse für Schläge (Anm. des Übers.)
    Wahrhaftig, dachte Gringoire, sie ist ein weiblicher Salamander, eine Nymphe, eine Göttin, eine Bacchantin! In dem Augenblick löste sich eine der Haarflechten des weiblichen Salamanders, und ein daran befestigtes Stückchen Messing rollte über den Boden.
    „Nein“, sagte er, „sie ist eine Zigeunerin.“ Alle schöne Täuschung war verschwunden. Sie begann den Tanz aufs neue, nahm zwei Schwerter vom Boden auf, stellte die Spitzen auf die Stirn und drehte diese nach einer Seite, während sie sich nach der entgegengesetzten hinwandte. Sie war wirklich nichts weiter als eine Zigeunerin. So sehr aber auch Gringoire enttäuscht ward, verfehlte doch das Ganze durchaus nicht, einen magischen Eindruck zu machen; das Freudenfeuer erleuchtete das Mädchen mit rotem Licht, zitterte auf allen Gesichtern in der Runde, auf der braunen Stirn des Mädchen, und warf noch auf den Hintergrund des Platzes einen bleichen Schein, so daß die Schatten an der einen Seite auf der runzligen schwarzen Mauer des Pfeilerhauses, und an der andern auf dem

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