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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Kühnheit. „Wißt Ihr auch“, fragte er, „was Freundschaft ist?“ – „Ja; Bruder und Schwester sein; zwei Seelen, die sich berühren, ohne eins zu werden, wie zwei Finger der Hand.“ – „Und die Liebe?“ „Oh, die Liebe“, sprach sie mit strahlenden Augen, „macht zwei zu einem; Mann und Frau, die in einen Engel zusammenschmelzen. Das ist der Himmel.“
    Als die Straßentänzerin also sprach, strahlte sie in einer Schönheit, die auf Gringoire einen sonderbaren Eindruck machte und in genauer Beziehung zu dem fast orientalischen Schwunge ihrer Worte zu stehen schien. Auf ihren rosigen und reinen Lippen schwebte ein halbes Lächeln; ihre offene und heitere Stirn ward hin und wieder durch Gedanken umwölkt, gleich einem Spiegel, dessen Fläche der Atem trübt; und aus ihren langen gesenkten Wimpern schossen Strahlen unbeschreiblichen Lichtes hervor, das dem Profil die ideale Anmut erteilte, die Raffael später bis zum mystischen Durchschnittspunkte der Jungfräulichkeit, des mütterlichen Gefühls und der Gottheit darzustellen verstand.
    Gringoire setzte dennoch seine Fragen fort. – „Wie muß man denn beschaffen sein, Euch zu gefallen?“ – „Man muß Mann sein.“ – „Bin ich’s nicht?“ – „Ein Mann trägt den Helm auf dem Haupte, das Schwert in der Faust, goldne Sporen an den Fersen.“ – „Gut; ohne Pferd kein Mann. Liebt Ihr jemanden?“ – Einen Augenblick saß sie schweigend da, dann sprach sie mit besonderem Ausdruck: „Bald werd’ ich’s wissen.“ – „Warum denn nicht jetzt, heute abend?“ fragte er zärtlich.
    Sie warf ihm einen ernsten Blick zu. – „Ich werde nur einen Mann lieben, der mich beschützen kann.“
    Gringoire errötete und fühlte sich getroffen. Das junge Mädchen spielte offenbar auf die geringe Hilfe an, die er im kritischen Augenblick vor zwei Stunden ihr hatte leisten können. Die durch so manche Abenteuer des Abends schon erloschene Erinnerung kehrte ihm wieder. Er schlug sich vor die Stirn.
    „Ja, damit hätte ich beginnen müssen. Verzeiht meine törichte Zerstreuung. Wie konntet Ihr Quasimodos Klauen entschlüpfen?“ – „Oh! Der furchtbare Bucklige!“ rief sie nun, das Gesicht mit den Händen verhüllend. – „Ja, er ist furchtbar“, erwiderte Gringoire, „aber wie seid Ihr ihm entgangen?“ – Esmeralda lächelte, seufzte und schwieg. – „Wißt Ihr, warum er Euch folgte?“ begann Gringoire aufs neue, indem er auf seine Frage durch einen Umweg zurückzukehren suchte. – „Ich weiß es nicht“, sagte Emeralda, „aber“, fügte sie lebhaft hinzu, „warum seid auch Ihr mir gefolgt?“ – „Bei meiner Seele, ich weiß es ebensowenig.“
    Ein Augenblick des Schweigens folgte. Gringoire kritzelte mit dem Messer auf dem Tische. Das Mädchen lächelte und liebkoste Djali.
    „Ihr habt da ein schönes Tier“, sagte Gringoire. – „Meine Schwester.“ – „Weshalb heißt Ihr Esmeralda?“ – „Ich weiß nicht.“ – „Auch das nicht?“ –
    Sie zog aus ihrem Busen einen kleinen länglichen Beutel, der vom Halse an einer kleinen Kette von Zaubergestalten hing; das Beutelchen verbreitete einen starken Kampfergeruch. Es war mit grüner Seide überzogen, und im Mittelpunkt befand sich ein dickes, geschliffenes grünes Glas, ähnlich einem Smaragd.
    „Vielleicht deshalb“, sagte sie.
    Gringoire wollte das Beutelchen in die Hand nehmen; sie fuhr zurück. – „Berührt es nicht. Es ist ein Amulett, Ihr vernichtet den Zauber, oder dieser vernichtet Euch.“
    Die Neugier des Dichters ward stets heftiger. – „Wer gab es Euch?“
    Sie legte den Finger auf den Mund, und barg das Amulett in ihrem Busen. Er versuchte noch andere Fragen, aber sie erwiderte kaum.
    „Was heißt Esmeralda?“ – „Weiß nicht.“ – „Aus welcher Sprache ist das Wort genommen?“ – „Ich glaube aus der Zigeunersprache.“ – „Das dacht ich auch. Ihr seid nicht aus Frankreich?“ – „Weiß nicht.“ – „Habt Ihr Eltern?“ Sie sang nach einer alten Melodie:
    Mein Vater ist ein Vogel,
    Meine Mutter ist desgleichen;
    Ich kann das andre Ufer
    Auch ohne Schiff erreichen;
    Meine Mutter ist ein Vogel,
    Mein Vater ist desgleichen.
    „Schön!“ sagte Gringoire. „Wann kamt Ihr nach Frankreich?“ – „Ganz klein!“ – „Nach Paris?“ – „Im vergangenen Jahre. Als wir durch das päpstliche Tor einzogen, sah ich Grasmücken in der Luft vorbeiziehen. Es war Ende August. Da sagte ich: der Winter wird streng.“
    „Jawohl“,

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