Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
Vom Netzwerk:
kühnen Entschluß. Er schlug den rechten Fuß um den linken, stellte sich auf die Zehen des linken, streckte den Arm aus … aber im Augenblick, da er die Puppe berührte, wankte sein Körper, der nur auf einem Fuß ruhte, auf dem Schemel, der nur auf dreien stand; mechanisch griff er nach der Puppe, sich zu halten, verlor das Gleichgewicht und fiel, betäubt vom Lärm der tausend Schellen, zu Boden. Die Puppe wich dem Stoße seiner Hand, drehte sich in kreisförmiger Bewegung und schwankte dann majestätisch zwischen den beiden Pfählen. „Verflucht!“ rief er fallend und blieb wie tot mit dem Gesichte auf dem Boden liegen. Da vernahm er den furchtbaren Schellenlärm über seinem Haupte, das Lachen der Gauner und Trouillefous Stimme: „Hebt den Schelm auf und hängt ihn ohne weitere Umstände!“
    Er stand auf. Die Puppe hatte man schon losgebunden, um für ihn Platz zu machen. Die Kauderwelschen hießen ihn auf den Schemel steigen, Clopin trat zu ihm, legte die Schlinge um seinen Hals und klopfte ihm auf die Schulter mit den Worten: „Leb wohl, Freund, jetzt kannst du nicht entwischen, selbst wenn du mit den Gedärmen des Papstes verdautest.“
    Das Wort Gnade erstarb auf Gringoires Lippen; er ließ seinen Blick in die Runde schweifen; aber keine Hoffnung; alle lachten.
    „Bellevigne de l’Etoile!“ sprach der König zu einem riesenhaften Landstreicher, der aus der Reihe hervortrat; „klettere auf den Querbalken.“
    Bellevigne stieg gemächlich hinan, und Gringoire, als er die Augen aufschlug, erschrak, ihn gerade über seinem Haupte sitzen zu sehen.
    „Sobald ich mit den Händen klatsche“, begann Clopin aufs neue, „stößt du, Andry le Rouge, die Fußbank mit einem Tritt um; du, François Chante-Prune, hängst dich an die Beine des Schelmes; du, Bellevigne, springst ihm auf die Schultern. Versteht ihr, in einem und demselben Augenblick!“
    Gringoire klapperte mit den Zähnen. „Seid ihr fertig?“ sprach Clopin zu den drei Landstreichern, die bereit waren, über Gringoire herzufallen. Der arme Patient hatte einen Augenblick der furchtbarsten Erwartung, während Clopin ruhig mit seiner Fußspitze einige Weinstockreben ins Feuer stieß, die von der Flamme noch nicht erreicht waren. „Seid ihr fertig?“ wiederholte er und öffnete die Hände zum Klatschen. Noch eine Sekunde, und um Gringoire war es geschehen. Clopin hielt aber plötzlich inne, als wäre ihm etwas eingefallen. „Noch einen Augenblick“, sagte er, „ich hatte etwas vergessen. Es ist Sitte, daß wir niemanden hängen, ohne vorher zu fragen, ob ihn eine Frau haben will. Kamerad, das ist dein letzter Rettungsweg. Du mußt eine Landstreicherin oder den Strick heiraten.“
    Gringoire atmete wieder auf. Zum zweitenmal kehrte er seit einer halben Stunde zum Leben zurück. Doch wagte er noch nicht, auf seine Rettung zu vertrauen.
    „Hollah!“ rief Clopin, als er seine Tonne wieder bestiegen hatte, „ihr Frauen und Mädchen! Ist eine Landstreicherin unter euch, von der Hexe bis zur Katze, die diesen Landstreicher will? Hollah, Colette la Charonne, Elisabeth Trouvain, Simone Joudouyne! Marie Piédebou, Thonne, Berade, kommt und schaut! Ein Mann für nichts! Welche will ihn haben?“
    Gringoire erweckte in seinem elenden Zustande keine Begierden. Die Landstreicherinnen wurden durch den Vorschlag eben nicht gerührt. Der Unglückliche hörte, wie sie erwiderten: „Nein, nein! Ihr könnt ihn hängen zum Vergnügen für alle!“
    Drei kamen indessen aus dem Haufen heraus, ihn zu beschnüffeln. Die erste war ein dickes Mädchen mit viereckigem Gesicht. Sie untersuchte aufmerksam das beklagenswerte Wams des Philosophen. Es war abgenutzt und mehr durchlöchert als ein Sieb, Kastanien zu rösten. Das Mädchen schnitt eine Fratze. – „Altes Tuch!“ murmelte sie. „Wo hast du deinen Mantel?“ – „Verloren.“ – „Deinen Hut?“ – „Man hat ihn mir genommen.“ – „Deine Schuhe?“ – „Sind fast ohne Sohlen.“ – „Deine Börse?“ – „Ach, ich habe keinen Heller.“ – „Laß dich hängen und danke.“ – Die Landstreicherin wandte ihm den Rücken.
    Die dritte war ein junges, recht frisches und eben nicht häßliches Mädchen. „Rettet mich!“ flehte leise der arme Teufel. Sie betrachtete ihn mit mitleidvollem Ausdruck, schlug in ihren Rock eine Falte und stand unentschlossen da. Er folgte mit den Augen allen ihren Bewegungen; es war sein letzter Hoffnungsschimmer. – „Nein“, sagte endlich das junge Mädchen,

Weitere Kostenlose Bücher