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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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sich wieder auf und hielt einen kleinen Dolch in der Hand, bevor Gringoire Zeit gehabt hatte, zu sehen, woher der Dolch gekommen war. Sie stand da, gereizt und stolz mit aufgeworfenen Lippen, mit geblähten Nasenlöchern, mit Wangen dunkelrot wie ein Apfel; ihre Augen funkelten von Blitzen. Zugleich stellte sich die weiße Ziege vor ihn hin, und bot Gringoire die Stirn zum Kampfe, zwei artige, vergoldete und sehr spitze Hörner. Alles dies geschah in einem Augenblick.
    Unser Philosoph stand verlegen da und wandte den stumpfen Blick von dem Mädchen auf die Ziege und umgekehrt. – „Heilige Jungfrau“, sprach er endlich, als die erste Überraschung vorüber war, so daß er wieder sprechen konnte, „das sind zwei Gaunerinnen!“
    Die Zigeunerin brach das Schweigen ebenfalls. „Du mußt ein sehr kühner Schelm sein“, sagte sie.
    „Verzeihung“, sagte Gringoire lächelnd, „warum nahmt Ihr mich denn zum Manne?“ – „Durfte ich dich hängen lassen?“ – „Also“, erwiderte der Dichter, hinsichtlich seiner Liebeshoffnung ein wenig enttäuscht, „dachtet Ihr an nichts anders, als mich vom Galgen zu retten?“ – „Woran sollt’ ich sonst gedacht haben?“ – Gringoire biß sich auf die Lippen. Nun, dachte er, ich bin als Cupido doch nicht so siegreich, wie ich glaubte. Doch weshalb zerbrach sie denn den armen Krug? Unterdes waren Esmeraldas Dolch und die Hörner der Ziege noch immer zur Verteidigung bereit.
    „Fräulein Esmeralda“, begann der Dichter endlich, „ich schwöre Euch bei meinem Anteil am Paradiese, ich will Euch ohne Erlaubnis nicht näher treten; aber gebt mir zu essen.“
    Im Grunde war Gringoire in Angelegenheiten der Liebe, wie in allen andern, für das Zeitnehmen und die halben Maßregeln. Ein gutes Abendessen, ein liebenswürdiges Zusammensitzen schien ihm, besonders wenn er Hunger fühlte, ein trefflicher Zwischenakt zwischen dem Prolog und der Entwicklung einer Liebesangelegenheit.
    Die Zigeunerin erwiderte nichts. Sie schnitt ihr kleines, verächtliches Mäulchen, richtete das Haupt wie ein Vogel auf, lachte auf, und der Dolch verschwand, wie er hervorgekommen war. Gringoire konnte nicht sehen, wo die Biene ihren Stachel verbarg. Gleich darauf lag auf seinem Tische ein Roggenbrot, ein Stück Speck mit einigen gerunzelten Äpfeln; daneben stand ein Bierkrug. Gringoire aß mit Leidenschaft. Hörte man das Klirren seiner eisernen Gabel auf dem Teller, so hätte man gewiß gesagt, alle seine Liebe sei in Hunger verwandelt.
    Das junge Mädchen schwieg und ließ ihn nach Belieben in den Speisen aufräumen. Ein anderer Gedanke weilte offenbar in ihrer Seele; bisweilen lächelte sie sinnend, während ihre weiche Hand den klugen Kopf der Ziege, der zwischen ihren Knien ruhte, liebkoste.
    Ein gelbes Wachslicht beleuchtete diesen Auftritt des Heißhungers und des Nachsinnens. Nachdem das erste Bellen seines Magens besänftigt war, fühlte Gringoire indes einige falsche Scham, als er sah, daß nur noch ein Apfel übrig war. „Ihr eßt nichts, Fräulein Esmeralda?“
    Zur Antwort schüttelte sie den Kopf und heftete den Blick auf das Gewölbe des Zimmers. „Zum Teufel, woran denkt sie?“ sprach Gringoire zu sich selbst und ließ seine Augen der Richtung der ihrigen folgen, „die Fratze des steinernen Zwerges am Schlußstein des Gewölbes kann doch ihre Aufmerksamkeit nicht so in Anspruch nehmen. Zum Teufel! Dem Vergleich bin ich gewachsen!“
    Er rief laut: „Fräulein!“ – Sie schien ihn nicht zu hören. – „Fräulein Esmeralda!“ – Verlorene Mühe. Der Geist vermochte nicht mehr, ihn zu sich herab zu beschwören. Glücklicherweise kam ihm die Ziege zu Hilfe und zupfte ihre Herrin sanft am Ärmel.
    „Was willst du, Djali?“ fuhr die Zigeunerin lebhaft auf. – „Sie fühlt Hunger“, sagte Gringoire, entzückt, daß eine Gelegenheit, ein Gespräch anzuknüpfen, sich darbot. Esmeralda zerkrümelte ein Brot, welches Djali anmutig aus ihrer hohlen Hand fraß. Übrigens ließ ihr Gringoire jetzt keine Zeit, wieder in ihr Sinnen zu versinken. Er wagte eine zweite Frage: „Ihr wollt mich also nicht zum Manne?“ – Das junge Mädchen sah ihn starr an und erwiderte: „Nein.“ – „Zum Liebhaber?“ – Sie schnitt ihr Mäulchen und erwiderte: „Nein!“ – „Zum Freunde?“ – Sie betrachtete ihn noch einmal mit starrem Blick und sagte nach einem Augenblick des Nachsinnens: „Vielleicht.“
    Dies bei den Philosophen so sehr beliebte Vielleicht gab Gringoire neue

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