Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
„Guillaume Longuejoue würde mich prügeln“, und trat in den Kreis zurück.
„Kamerad“, sagte Clopin, „du hast Unglück.“ Dann stand er auf, und indem er zum allgemeinen Vergnügen den Ton eines Gerichtsdieners bei einer Auktion nachahmte, rief er aus: „Niemand will ihn? Zum ersten, zum zweiten und zum dritten Male?“ Dann nickte er dem Galgen zu und sagte: „Zugesprochen.“
Die drei unheilvollen Landstreicher traten an Gringoire heran. In dem Augenblick entstand unter den Kauderwelschen ein Geräusch. „Die Esmeralda“, hieß es. Gringoire zitterte und wandte sich nach der Seite, woher der Ruf kam. Der Kreis öffnete sich vor einer reinen und blendenden Gestalt. Es war die Zigeunerin. „Die Esmeralda!“ sagte Gringoire, bei aller seiner Aufregung über die sonderbare Weise erstaunt, wie sich dieses magische Wort mit allen seinen Erinnerungen des Tages verknüpfte.
Das seltene Geschöpf schien selbst im Hofe der Wunder durch Schönheit und Reize zu herrschen. Landstreicher und Landstreicherinnen standen schweigend, als sie vorbeiging, und es milderten sich ihre rohen Gesichter.
Sie nahte sich leichten Schrittes dem Verurteilten. Ihr folgte die hübsche Djali. Gringoire war eher tot als lebendig. Einen Augenblick betrachtete sie ihn schweigend. „Ihr wollt den Mann da hängen?“ fragte sie Clopin mit ernster Stimme. – „Ja, Schwester, wenn du ihn nicht zum Manne nimmst.“
– Sie schnitt das kleine, hübsche Mäulchen mit der Unterlippe. „Ich nehme ihn“, sagte sie.
Gringoire glaubte fast, er habe nur geträumt, und dies sei eine Fortsetzung seines Traumes. Man band die Schlinge los und ließ den Dichter von dem Fußschemel heruntersteigen. Er mußte sich setzen, so lebhaft war seine Aufregung.
Der Zigeunerherzog brachte, ohne ein Wort zu sagen, einen irdenen Krug. Die Zigeunerin reichte diesen dem Dichter.
„Werft ihn zu Boden“, sprach sie. Der Krug zerbrach. „Bruder“, sagte hierauf der Zigeunerherzog, indem er beiden die Hände auf die Stirn legte, „sie ist dein Weib; er ist dein Mann. Auf vier Jahre. Geht.“
12. Die Brautnacht
Nach einigen Augenblicken befand sich unser Dichter in einer kleinen, warmen gotischen Kammer; er hatte Aussicht auf ein gutes Bett, und war allein mit einem hübschen Mädchen. Das Abenteuer war beinahe zauberhaft. Gringoire fing auch wirklich an, sich für den Helden eines Feenmärchens zu halten. Von Zeit zu Zeit ließ er den Blick umherschweifen, als suchte er den von zwei geflügelten Chimären gezogenen Feuerwagen, der allein ihn so schnell vom Tartarus in das Paradies hätte entrücken können. Hin und wieder heftete sich auch sein Blick auf die Löcher seines Wamses, um sich an die Gegenwart zu klammern und sie durchaus nicht aus dem Gesichte zu verlieren. Seine Vernunft, mit der die Einbildungskraft Ball spielte, hing nur an diesem dünnen Faden.
Das Mädchen schien nicht auf ihn zu achten; sie ging, kam, rückte an seiner Fußbank, schwatzte mit ihrer Ziege und schnitt dann und wann ihr Mäulchen. Endlich setzte sie sich an den Tisch, und Gringoire konnte sie gemächlich betrachten. Das ist also, dachte er, die Esmeralda! Ein himmliches Geschöpf! Eine Straßentänzerin! Heute morgen gab sie meinem Mysterium den Gnadenstoß, und heute abend rettete sie mir das Leben. – Mein böser Genius und mein guter Engel. Ein schönes Weib, auf mein Wort. Sie muß in mich vernarrt sein, weil sie mich so zum Manne nahm. – So, so, mir fällt was ein, dachte er plötzlich mit dem Gefühl für das Wahre, das die Grundlage seiner Philosophie und seines Charakters bildete, ich weiß nicht recht, wie es geschah, aber ich bin ja ihr Mann. Mit diesem Gedanken im Kopfe nahte er dem jungen Mädchen auf so galante Weise, daß diese zurückfuhr: „Was wollt Ihr?“ fragte sie.
„Könnt Ihr mich noch fragen, anbetungswürdige Esmeralda!“ erwiderte Gringoire mit so leidenschaftlichem Tone, daß er selber erstaunte, sich so reden zu hören.
Die Zigeunerin schlug ihre großen Augen auf. – „Ich weiß nicht, was Ihr wollt.“ – „Nun“, erwiderte Gringoire immer mehr erhitzt; denn er dachte nur mit einer Tugend aus dem Hofe der Wunder zu tun zu haben. „Bist du nicht mein, süße Geliebte, bin ich nicht dein?“ Und mit diesen Worten umfaßte er ganz ohne Zwang ihre schlanken Hüften. Das Kleid der Zigeunerin glitt durch seine Hand, wie die Haut eines Aales. Mit einem Sprunge war sie von einem Ende der Kammer in dem andern, bückte sich, richtete
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