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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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das Ufer entlang lenkten. Zwei derselben waren als Bürgerinnen von Paris gekleidet; in Haltung und Kleidung der dritten aber lag etwas, das die Frau aus der Provinz verriet.
    Sie führte an der Hand einen dicken Knaben, der in seiner Hand einen großen Kuchen hielt. Das Kind ließ sich schleppen, stolperte unter dem Schelten der Mutter bei jedem Schritt. Gewiß hinderte es ein wichtiger Beweggrund, in den Kuchen zu beißen; denn es begnügte sich damit, ihn zärtlich anzuschauen.
    Die drei Bürgerfrauen (denn Dame war damals ganz allein ein Titel der Edelfrauen) sprachen auf einmal: „Eilen wir, Mahiette“, sprach die eine, zugleich auch die dickste, zu ihrer Gefährtin aus der Provinz. „Ich fürchte, wir kommen zu spät. Man sagte uns im Châtelet, man werde ihn sogleich zum Schandpfahl führen.“ – „Ah bah! Was sagte Ihr da, Dudarde Musnier?“ – „Ja“, sagte die Frau aus der Provinz, „in Reims!“ – „Ah bah! Was ist an Eurem Schandpfahl in Reims! Nichts als ein großer Käfig, wo man nur Bauern festbindet, das ist was Rechtes!“ – „Was, Bauern!“ rief Mahiette, „auf dem Tuchmarkt in Reims! Dort sahen wir schöne Verbrecher, die Vater und Mutter getötet hatten. Bauern! Wofür haltet Ihr uns, Gervaise?“
    Gewiß wäre die Bewohnerin der Provinz für die Ehre ihres Schandpfahls wütend geworden, aber glücklicherweise gab die kluge Dudarde Musnier dem Gespräch eine andere Wendung. „Mahiette“, fragte sie, „was haltet Ihr von unseren flamländischen Gesandten! Habt Ihr auch so schöne in Reims?“ – „Ich gestehe“, erwiderte jene, „daß man Flamländer, wie die, nur in Paris sehen kann.“ – „Sahet Ihr auch in der Gesandtschaft den großen Gesandten, der Strumpfwirker ist?“ – „Ja, er sieht wie ein Satan aus.“ – „Und was sie für schöne Pferde haben!“ – „Ach, Liebe“, unterbrach die Frau aus der Provinz das Gespräch, „was würdet Ihr sagen, hättet Ihr im Jahre 61, vor achtzehn Jahren, bei der Krönung die Pferde der Prinzen und der Kompagnie des Königs gesehen!“
    Trocken erwiderte Dudarde: „Dies hindert noch nicht, daß die Flamländer schöne Pferde hatten und gestern ein prächtiges Abendessen bei dem Herrn Prévot der Kaufleute hielten, und zwar auf dem Stadthause, wo man ihnen Zuckerwerk, Muskateller und andere Seltenheiten auftrug.“ – „Was sagt Ihr da, Nachbarin“, rief Gervaise, „es war beim Herrn Kardinal im Petit Bourbon.“ – „Nein, auf dem Stadthause.“ – „Nein, auf dem Petit Bourbon.“ – „Ich weiß es so gewiß“, sagte Dudarde verdrießlich, „daß der Doktor Scourable ihnen eine lateinische Rede hielt, mit der sie sehr zufrieden waren. Mein Mann ist geschworener Buchhändler und hat mir’s erzählt.“ – „Nein, ich weiß es ganz gewiß“, erwiderte Gervaise nicht weniger heftig, „und folgendes hat ihnen der Herr Kardinal gereicht: zwölf doppelte Viertel weißen, hell und dunkelroten Muskatellers; vierundzwanzig Schachteln vergoldeten Marzipans; ebenso viel Fackeln, zu zwei Livres das Stück, sechs halbe Fässer Beaunewein, vom besten, den man auftreiben konnte. Ich weiß es von meinem Mann, der Aufseher im Parloir-aux-Bourgeois ist und heute morgen die flamländischen Gesandten mit denen des Priesters Johannes und des Kaisers von Trapezunt verglich, die unter dem seligen König nach Paris kamen und Ringe in den Ohren trugen.“ So stritten die drei Frauen noch eine Weile hin und her, als Frau Mahiette plötzlich ausrief: „Seht die Leute dort an der Brücke! Sie sehen irgend etwas!“
    „Wahrhaftig“, sprach Gervaise, „ich höre den Schall des Tamburins. Ich glaube, die kleine Esmeralda treibt Possen mit ihrer Ziege. Geschwind, Mahiette! Lauft schnell! Ihr kamt hierher, die Merkwürdigkeiten von Paris zu besehen. Gestern saht Ihr die Flamländer, heute müßt Ihr die Zigeunerin sehen!“
    „Die Zigeunerin“, sprach Mahiette, plötzlich zurückfahrend, und faßte den Arm ihres Sohnes fester. „Gott bewahre! Sie würde mir mein Kind stehlen! Komm, Eustache!“ Sie lief den Kai entlang, bis sie weit von der Brücke entfernt war. Das Kind fiel aber auf die Knie, und sie blieb außer Atem stehen. Dudarde und Gervaise erreichten sie wieder. „Die Zigeunerin sollte Euer Kind stehlen!“ sprach Gervaise. „Ein sonderbarer Gedanke!“
    Mahiette erhob das Haupt mit nachsinnender Miene. „Sonderbar!“ bemerkte Dudarde. „Die Büßende denkt ebenso von den Zigeunern.“ – „Wer ist das?“

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