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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Arme.“
    „Ja“, bemerkte Gervaise, „aber die Zigeunerin?“ – „Wartet doch noch einen Augenblick“, sprach die weniger ungeduldige Dudarde. „Was soll am Ende kommen, wenn alles schon im Anfange vorkommt? Ich bitte, fahrt fort, Mahiette; die arme Chantefleurie!“
    Mahiette setzte ihr Erzählung fort: „Sie war also sehr traurig und elend, und die Tränen gruben Furchen in ihre Wangen. Aber in ihrer Schande, Torheit und Einsamkeit schien es ihr, als wäre sie weniger beschimpft, töricht und verlassen, hätte sie etwas auf der Welt, das sie lieben könnte, und von dem sie geliebt würde. Das aber mußte ein Kind sein; denn ein Kind war dazu noch unschuldig genug. Das erkannte sie, nachdem sie versucht hatte, einen Dieb zu lieben, den einzigen Mann, der sie noch haben wollte; nach einiger Zeit aber bemerkte sie, wie auch der Dieb sie verachtete. – Die Frauen müssen einen Liebhaber oder ein Kind haben, ihr Herz auszufüllen. Sonst sind sie sehr unglücklich. – Da sie nun keinen Liebhaber mehr bekommen konnte, wandte sie ihr Herz einem Kinde zu, und da sie nie aufgehört hatte fromm zu sein, betete sie zu Gott Tag und Nacht. Gott aber hatte Mitleid mit ihr und schenkte ihr ein kleines Mädchen. Von ihrer Freude will ich euch nicht erzählen; das war eine Tränen- und Küssewut. Sie säugte selbst ihr Kind, machte Windeln aus ihrer einzigen Bettdecke, und empfand weder Kälte noch Hunger noch Durst. Da ward sie wieder schön. Eine alte Jungfer wird zur jungen Mutter; Liebe begann aufs neue; man besuchte die Chantefleurie, sie fand Absatz für ihre Ware und machte aus ihrem Sündengeld Halstücher, Kittelchen von Spitzen, Hauben und Atlas, und kaufte sich nicht einmal eine neue Bettdecke. – Eustache! Ungezogener Junge! Ich habe dir verboten, den Kuchen zu essen. – Die kleine Agnes, so hieß das Kind – ja, die kleine Agnes ward eingewickelt in Bänder und Spitzen wie eine Dauphine. Unter anderen hatte sie ein hübsches Paar Schuhe. Das hatte gewiß sie selbst genäht und gestickt. Es waren die schönsten kleinen Rosaschuhe, die man je gesehen hat. Sie waren nicht größer als ein Daumen, und man müßte sehen, wie das kleine Kind die Füße herauszog, sonst konnte man nicht denken, wie seine Füßchen hätten hineinkommen können. Habt Ihr Kinder, Dudarde, so wißt Ihr gewiß, daß nichts schöner ist als solche kleinen Hände und Füße. Die Mutter ward täglich mehr in die Kleine verliebt. Sie liebkoste, küßte, putzte, badete ihr Kind. Über seine kleinen, rosigen Füße war sie ewig entzückt und wie verrückt. Sie steckte die Füßchen in die kleinen Schuhe, bewunderte, beschaute sie und mochte das Kind nicht einmal auf dem Bette gehen lassen, kurz, sie zog ihm die Schuhe aus und an, als wär’s ein Jesuskind.“
    „Die Geschichte ist recht schön“, sagte Gervaise halblaut, „aber wo sind die Zigeuner?“
    „Jetzt kommen sie“, antwortet Mahiette. „Eines Tages kamen recht sonderbare Ritter, Bettler und Gauner nach Reims, die, von Herzögen und Grafen geführt, im Lande umherwandelten. Sie waren schwarzbraun, hatten krauses Haar und Ringe in den Ohren. Ihre Weiber waren noch häßlicher als die Männer. Das ganze Gesicht trugen sie unbedeckt und banden ihr Haar wie einen Pferdeschwanz. Die Kinder, die ihnen zwischen den Füßen herumkrochen, glichen wahren Affen. Sie kamen gerades Weges aus Unterägypten über Polen, hatten beim Papst gebeichtet, wie es hieß, und dieser hatte ihnen befohlen, durch die Welt zu wandern, ohne in Betten zu schlafen; auch nannten sie sich büßende Brüder und stanken abscheulich. Wie es schien, waren sie früher Sarazenen gewesen und sie glaubten deshalb an Jupiter. Sie kamen nach Reims, um im Namen des Königs von Algier und des Kaisers von Deutschland zu prophezeien. Natürlich ließ man sie nicht in die Stadt. Da lagerte sich die ganze Bande vor dem Tore von Braine, und ganz Reims ging hinaus, sie zu sehen. Sie betrachteten eure Hand und sagten euch wunderbare Prophezeiungen; aber böse Gerüchte hatten sich über sie verbreitet: Kinder gestohlen, Börsen stibitzt und Menschenfleisch gegessen. Die Klugen sagten zu den Dummen: ‚Geht nicht hin‘, und dann gingen sie selbst verkleidet hin. Tatsache bleibt es, die Zigeuner sagten Dinge, einen Kardinal zum Staunen zu bringen. Die Mütter machten viel Wesens aus ihren Kindern, seit die Zigeuner in ihrer Hand alle Arten von Wunden, die heidnisch oder türkisch geschrieben waren, gelesen hatten. Die eine

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