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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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zwei Haufen Prozeßakten den Meister Florian Barbedienne, Auditor im Châtelet, wie er auf den Ellenbogen lehnt, das Gesicht in den weißen Schafpelz birgt, mit den Augen blinzelnd, mit Majestät das Fett seiner Backen haltend.
    Der Auditor war taub; ein nur leichter Fehler für einen Auditor. Meister Florian urteilte nichtsdestoweniger ohne Appellation und oft sehr passend. Gewiß ist für einen Richter eine Miene erforderlich, als höre er alles genau, und diese für die Gerechtigkeit so wesentliche Bedingung erfüllte er um so mehr, da er durch kein Geräusch zerstreut werden konnte. Übrigens befand sich im Saale ein unerbittlicher Beurteiler aller seiner Taten und Worte in der Person unseres Freundes Jehan Frollo du Moulin, des Studenten von gestern, eines Schelms, den man überall in Paris, nur nicht im Hörsaal der Professoren, antraf.
    „Sieh“, sprach er leise zu seinem Gefährten Robin Poussepain, die Szenen, die sich vor ihren Augen entwickelten, mit Erklärungen begleitend, „sieh das schöne Mädchen Jehanneton du Buisson. Bei meiner Seele, der alte Graukopf verurteilt sie; er hat ebensowenig Augen wie Ohren. Fünfzehn Sous vier Diniers Parisis, weil sie zwei Paternoster trug.“ – „Auch zwei Edelleute unter dem Gesindel Corpus Christi!“ – „Ach so, spielten Würfel. Hundert Livres Strafe für den König!“ – „Ich wollte mein Bruder, der Archidiakonus, sein, wenn das mich zu spielen hindert, Tag und Nacht zu spielen, beim Spiel zu leben und zu sterben, meine Seele nach meinem Hemde zu verspielen!“ – „Heilige Jungfrau, wie viel Mädchen!“ – „Eine kommt nach der andern, meine Schäfchen! Ich kenne sie alle, bei Gott. Geldstrafe! Geldstrafe! Geldstrafe! Er lehrt euch, vergoldete Gürtel zu tragen, ihr Koketten! Wen bringen sie dort? Bei Jupiter, Sergeanten genug; alle Windspiele der Meute! Gewiß, das ist das Hauptstück der Jagd; ein Eber! Wahrhaftig, es ist unser Fürst von gestern, unser Narrenpapst, unser Glöckner, unser Einäugiger, unser Buckliger, unsere Fratze! Sieh! Quasimodo!“
    Quasimodo war es wirklich, geknebelt, umringt, gebunden, mit zahlreicher Wache. An Quasimodo konnte man außer seiner Mißgestalt nichts bemerken, was dieses Gefolge von Hellebarden und Büchsen hätte rechtfertigen können; er war düster, schweigsam und ruhig. Nur dann und wann warf er auf seine Bande einen zornigen und finsteren Blick.
    Meister Florian blätterte unterdessen aufmerksam in der gegen Quasimodo niedergeschriebenen Klage, die der Schreiber ihm reichte, und schien, nachdem er mit flüchtigem Blick sie durchlaufen hatte, sich einen Augenblick zu sammeln.
    Durch diese Vorsicht, die er nie vor dem Verhör vernachlässigte, wußte er im voraus die Namen, Eigenschaften und Vergehen des Beklagten, gab vorhergesehene Repliken auf vorhergesehene Fragen, und zog sich so aus allen Irrgängen des Verhörs, ohne seine Taubheit zu sehr bemerklich zu machen. Der Aktenstoß des Prozesses war für ihn der Hund des Blinden. Fügte es der Zufall, daß seine Schwäche sich durch eine Rede außer dem Zusammenhange oder durch eine unverständliche Frage verriet, so galt dies bei den einen für Tiefe, bei den andern für Dummheit. So verbarg er seine Taubheit mit aller Sorgfalt vor aller Augen, und dies gelang ihm so vortrefflich, daß er sich endlich selbst betrog. Dies ist übrigens leichter, als man glaubt. Alle Buckligen halten den Kopf grade, und alle Stammler wollen lange und viel sprechen, alle Schwerhörigen sprechen leise. Er selbst glaubte höchstens, sein Ohr sei ein wenig rebellisch.
    Als er nun Quasimodos Angelegenheit genugsam wiedergekaut hatte, warf er den Kopf in den Rücken und schloß, zum Zweck größerer Majestät und Unparteilichkeit, halb die Augen, so daß er in dem Augenblicke zugleich blind und taub war. Gewiß gibt es auch ohne beide Eigenschaften keinen vollkommenen Richter. In dieser Amtsstellung begann er sein Verhör:
    „Euer Name?“
    Hier traf ein vom Gesetz nicht vorhergesehener Fall ein, nämlich das Verhör eines Tauben durch einen Tauben.
    Quasimodo, der von der an ihn gerichteten Frage nichts merkte, fuhr fort, den Richter starr anzuschauen, und erwiderte nichts. Der taube Richter, der von Quasimodos Taubheit nichts merkte, glaubte, er habe in der Art geantwortet, wie es alle Angeklagten zu tun pflegten, und fuhr mit mechanischem und törichtem Ernst fort zu fragen:
    „Richtig. Euer Alter?“
    Quasimodo erwiderte auch auf diese Frage nichts. Der Richter aber

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