Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
vor der Kamera kurz zu kommentieren.
So gewährte er mir sein wirklich allerletztes kleines Interview. Es störte ihn, dass er alt wirkte. Heute bin ich froh, dass es die Aufnahmen gibt. Der Dokumentarfilm endet mit einem Epilog, in dem Loriots einzigartige Kleist-Rezitation von 2008 zu sehen und zu hören ist. Ein würdiger Abschied.
Als wir die Arbeit an der Musik-Box abgeschlossen hatten, beschlichen uns gemischte Gefühle. Einerseits waren wir froh, sein audiovisuelles Werk vollständig geordnet zu haben, andererseits wurde Vicco durch das Ende unserer Zusammenarbeit geradezu melancholisch: »Tja, das werden wir nun nie wieder erleben, jetzt, wo alles fertig ist.«
Dennoch blieb es nicht ganz dabei. Im Anschluss entstand (neben einem Loriot-Channel bei YouTube und einem Wein etikett mit der berühmten Steinlaus) noch die Online-Verwertung der Bremer Sendungen sowie eine Loriot-App für das iPhone, die ihm zu erklären eine ziemliche Herausforderung war. Es handelt sich um einen interaktiven Kalender, der seinen Besitzer jeden Tag mit einem anderen kleinen Loriot-Werk überrascht. Dennoch, auch hier genoss er den Gedanken, einer ganz jungen Generation von Zuschauern in einer vollkommen neuen medialen Form zu begegnen. Es erübrigt sich schon beinahe, anzumerken, dass auch die App ein großer »Ervolg« wurde.
Das letzte Interview im November 2010
Apropos App … Beim Entwickeln des letzten Sketches blitzte immer wieder die Lust in ihm auf, in neuen Sketchen unsere modernen Zeiten auf die Schippe zu nehmen. Er hätte sich vermutlich zu gerne über Kommunikationspannen im Internet, die spezifische Dummheit von Computern und gar nicht so smarte Smartphones lustig gemacht. Wie schade, dass die Technik des 21. Jahrhunderts das Lachen über sich selbst ohne Loriots »feine Beobachtungen« wird lernen müssen.
Das Alterswerk
Loriots eigentliches Alterswerk sind seine »Nachtschattengewächse«. Vicco hat sein Leben lang an seinem Schreibtisch gesessen und gearbeitet. Dass dies im Alter aufhören sollte, kam ihm nicht in den Sinn. Also nahm er jeden Tag an seinem kleinem Holztisch Platz, schaltete seinen CD-Spieler ein, ging die Post durch, erledigte seine Korrespondenz – und dann arbeitete er.
Er hatte keine großen Texte mehr zu verfassen. Die Drehbücher waren geschrieben, die Filme gedreht, die Opern inszeniert und die Sketche längst Legenden geworden. Über das Zeichnen fand er im Alter zu seinen Anfängen zurück. Natürlich hatte er nie aufgehört zu zeichnen. Schon allein weil er ungeheuer großzügig im Signieren seiner Bücher war. Wer auch immer ihm ein Exemplar zur Unterschrift schickte, wurde bedient. Als junger Zeichner machte er eine Lesereise mit seinem Kollegen Paul Flora, der angesichts von Viccos unermüdlicher Signierbereitschaft den Satz prägte: »Ein von Loriot nicht signiertes Buch ist eine bibliophile Kostbarkeit.«
Neben dem Signieren seiner Bücher fertigte er auch immer wieder zu privaten Anlässen, Familienfeiern, Geburtstagen von Freunden etc. hinreißende kleine Zeichnungen an. Ich erinnere mich, wie er in Berlin für seinen Freund Dietrich Fischer-Dieskau zum 80. Geburtstag einen knollennasigen Liedersänger im Frack zeichnete, über dem eine Zeile des Schubert-Liedes »Der Fischer« prangte. Die Liedzeile hatte ichfür ihn aus einem alten Notenbuch der ersten Frau meines Großvaters Schack fotokopiert. Er hat die Fotokopie dann in die Zeichnung collagiert.
Die »Nachtschattengewächse« waren etwas anderes. Es waren traumverlorene Visionen des alten Mannes, der sich seiner Anfänge als Student der Malerei an der Hamburger Landeskunstschule erinnerte und sein akademisch-malerisches Können humorvoll mit seinen Knollennasenmännchen verband. Dass er altmeisterlich malen konnte, hatte er nicht zuletzt bei seinen »Großen Deutschen« bewiesen, die Porträts von Dürer, Schiller, Wagner und anderen enthielten, und bei den kleinen Mops-Gemälden für Romi.
Bei den »Nachtschattengewächsen« verirrten sich seine Knollenmännchen in expressionistische Landschaften oder surreale Maschinen, es sind Kapitäne mit Seeungeheuern darunter, Clowns, düstere Champagnertrinker, alles in allem ein Bestiarium, das einer schier unergründlichen Phantasie entspringt und gleichzeitig ein ironischer Gang durch die Geschichte der modernen Malerei ist.
Ausführlich beobachten konnte ich ihn, sogar mit der Kamera, als er seinen von Meeresungeheuern umgebenen Kapitän malte (unterbrochen vom
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