Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Boxkampf Klitschko vs. Thompson, s. o.). Er korrigierte das Bild immer wieder, klebte auf den Ärmel des Kapitäns gelbe Streifen, um dessen Dienstgrad kenntlich zu machen, und war unglaublich detailverliebt. Heraus kam am Ende ein kleines surrealistisches Meisterwerk.
Inmitten eines kreativen Moments erreichte ihn einmal die etwas ungehörige Bitte eines Fans, ihm doch eine schöne Zeichnung zu schenken. Vicco nahm spontan das neueste seiner »Nachtschattengewächse«, ein äußerst gelungenes Blatt, tütete es ein und schickte es dem Mann. Unentgeltlich, zum Verbleib, und zur großen Verwunderung seiner Familie.
Altersbedingte Einschränkungen, die ihm das Leben schwer machten, hinderten Vicco nie daran, weiter kreativ zu sein. Ja,er ließ sich durch Krankheiten sogar anregen. Als wegen einer Netzhautablösung eines seiner Augen operiert werden musste, hörte er nicht auf, zu malen und zu zeichnen. Er brachte die optischen Sensationen, die ihm das operierte Auge bot, zu Papier. So erreichte er einerseits einen hohen Grad zeichnerischer Abstraktion und beschrieb doch andererseits höchst konkret seine Eindrücke.
Eines seiner »Nachtschattengewächse« zeigt deutlich, wie sich sein Fokus auch inhaltlich verschob. Das Bild gibt es in zwei Versionen. Er hat es übermalt, aber weil wir seine Zeichnungen regelmäßig eingescannt haben, ist die Urversion zufällig erhalten.
Sie zeigte eine an Picasso erinnernde, weiblich ausladende Freiheitsstatue, mit kubistisch verfremdeten Körperteilen. Nachdem die Zeichnung schon lange fertig war und seine Sehkraft nachließ, nahm sich Loriot das Bild erneut vor und übermalte einige Partien. Dort, wo zuvor üppige Rundungen zu sehen waren, starrten den Betrachter nun große Augen an, die die Rundungen ersetzt hatten. Der weibliche Körper trat zurück, das Thema hatte gewechselt. In den Mittelpunkt seines Interesses waren die Augen gerückt.
Aus derselben Zeit stammt auch ein Selbstporträt mit Knollennase, Augenklappe und sehr traurigem Blick. Anstatt darüber zu klagen, verarbeitete Vicco sein Augenleiden künstlerisch. Die Probleme des Alters, die so manchen in Depression und Larmoyanz verfallen lassen, führten bei ihm zu kleinen Meisterwerken.
☞ GEGENSCHUSS PETER RAUE ☜
… richtig, Alterslarmoyanz kannte Loriot nicht. Als ich auf den im Sessel sitzenden, fast fünfundachtzigjährigen Herrn zuging, erhob er sich etwas langsamer als früher und sagte: »Verzeih, dass ich so langsam bin, aber schließlich bin ich keine achtzig mehr!« … Und glücklich bin ich, ein Porträt mit Knollennase besitzen zu dürfen – es ist das Hochzeitsgeschenk, das er meiner Frau Andrea und mir im Jahre 2007 überreicht hat, und geht zurück auf einen gemeinsamen Besuch der Ausstellung »Der private Picasso« in der Neuen Nationalgalerie. Dort studierten, besprachen und diskutierten wir die frühen kubistischen Arbeiten und ersten Collagen dieses großen Künstlers, der als Erster Fundstücke in Bilder integrierte. Wir haben uns gefreut über die kubistischen Gitarren und die unfassbare Wandelfähigkeit dieses Künstlers diskutiert. Anschließend, beim gemeinsamen Abendessen, erneut der Versuch, das Phänomen Picasso einzukreisen angesichts der jede Bildsprache beherrschenden Meisterschaft von Picasso – vom klassischen Bild über die Collage, die Skulptur, das »objet trouvé«, die rosa und blaue Periode, die Phasen des Kubismus, Klassizismus, Surrealismus –, die ganze künstlerische Welt zu betrachten. Da wage ich – offensichtlich ohne Scheu, mich lächerlich zu machen –, Parallelen zu ziehen, und sage etwa: »Ich kenne überhaupt nur drei Künstler, die derart umfassend die ganze Welt in ihrem Œuvre widerspiegeln: Shakespeare, Mozart und Picasso.« Und Loriot stimmt dem kopfnickend zu und bestätigt: »Das mag wohl wahr sein. Aber von mir ist wieder einmal gar nicht die Rede.« In Wahrheit ist natürlich immer wieder von ihm, dem Unvergessenen und Unvergessbaren, die Rede.
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Der lange Abschied & Die letzten Auftritte
Es war ein großes Glück für mich, Vicco in seinen letzten Jahren so nah sein zu können. An ihm lernte ich, Nachsicht und Geduld mit dem Alter zu haben, liebevoll mit seinen immer stärker werdenden künstlerischen Zweifeln umzugehen – und was einer seiner Lieblingssätze bedeutete, der von der unvergessenen Mae West stammt: »Alt werden ist nichts für Feiglinge.« Vicco empfand es als »Zumutung«.
Den letzten Akt hatte er streng genommen schon
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