Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
eben im Gasthof Boll nicht da, deshalb fragte ich Marion beklommen: »Wie sieht denn so ’n Kochtopf aus?« Marion beschrieb mir verschiedene Kochtöpfe und wollte schon in die Küche gehen, um nachzusehen, wie die Pfannen und Töpfe von Herrn Boll aussahen. Das ging natürlich nicht, denn Herr Boll und seine englische Gattin sollten ja denken, dass ich die Zeichnung aus dem Kopf gemacht hätte. Und Schriftzüge konnte ich schon gar nicht zeichnen.
Es wurde immer schlimmer. Wenn das Ehepaar Boll nicht hinguckte, zeichnete mir Marion – die keine Zeichnerin ist – heimlich verschiedene Töpfe und Pfannen in mein Skizzenbuch. Die einfachste dieser ungelenken Zeichnungen kopierte ich schamvoll ins Boll’sche Gästebuch. Es sah aus, als hätte ich noch nie einen Zeichenstift in der Hand gehabt. Darüber machte ich Kringel – die Rauchfahne –, so schlecht, wie ich es noch nicht einmal willentlich hätte zeichnen können. Und die Kringel ergaben »hoch künstlerisch« den Schriftzug, der genauso schlecht war: »BOLL – IST – TOLL!«
Wir zahlten, bedankten uns überschwenglich bei Herrn Boll, drückten ihm das Gästebuch in die Hand, verabschiedeten uns eilig, griffen nach unseren Mänteln und flohen aus dem Restaurant.
Am nächsten Tag waren wir schwer verkatert. Unsere Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Wir überlegten, ob wir nicht zu Herrn Boll gehen und ihn bitten sollten, die Seite aus dem Gästebuch herauszureißen. Dann hätte ich in Ruhe in meinem Büro eine neue Zeichnung anfertigen können. Darauf haben wir verzichtet. Auch der Gedanke, Herrn Boll das Gästebuch abzukaufen, schien schwer zu realisieren. Spaßeshalber überlegten wir schließlich, ob wir nicht im Gasthof einbrechen und das Gästebuch stehlen könnten. Aber auch das ließen wir. Allerdings sind wir nie wieder zu Boll essen gegangen.
Vicco war leider nie bei Boll, ich hätte ihm die Zeichnung zu gerne gezeigt.
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Von seinem Freund und Starnberger Seenachbarn Manfred Schmidt erzählte Loriot Folgendes: Schmidt fing als junger Zeichner bei Ullstein in Berlin an. Beim Betreten des Verlages kam man an einem Pförtner vorbei, der den jungen Schmidt über eine Tradition des Hauses aufklärte. Jeder Zeichner, der hier neu anfange, schenke ihm, dem Pförtner, eine kleine Zeichnung. Manfred Schmidt sah sich zuhause seine Blätter an, hatte aber wenig Lust, für den Mann etwas auszusuchen. Er nahm also einen ganzen Stapel Zeichnungen und reichte sie dem Mann am nächsten Morgen in seine Pförtnerloge. »Ich weiß ja nicht, was Ihnen so gefällt, suchen Sie sich einfach eine Zeichnung aus, die anderen nehme ich dann heute Abend wieder mit.«
Als Manfred Schmidt abends an der Pförtnerloge vorbeikam, fragte er den Pförtner: »Na, haben Sie sich eine ausgesucht?« Mit den Worten: »Nee, Herr Schmidt, war noch nüscht bei …«, gab der Mann dem erstaunten Manfred Schmidt den kompletten Stapel Zeichnungen zurück.
Durch seine große Popularität wurde Vicco ständig und überall von Fans angesprochen und um Autogramme gebeten. Meist kam er dem auch mit unerschütterlicher preußischer Disziplin nach. Einmal sprach ihn ein junger Mann in der Theatinerstraße in München an: »Ich habe eine Frage: Sind Sie Loriot oder nicht? Ich habe nämlich mit einem Freund gewettet.« Vicco wollte witzig antworten und sagte: »Gratuliere, Sie haben gewonnen.« Aber der junge Mann verzog nur enttäuscht das Gesicht: »Nee, verloren …«
Irgendwann war Vicco wieder einmal in Berlin bei mir und meiner damaligen Freundin Claudia zu Besuch. Schräg gegenüber von unserer Wohnung, Giesebrechtstraße/Ecke Kudamm, stand ein heruntergekommenes Geschäftshaus aus den sechziger Jahren. Im Erdgeschoss gab es ein großes Ladengeschäft, dass im Laufe der Zeit so ziemlich alles beherbergt hat, was man sich vorstellen kann, eine temporäre Verkaufsstelle für Silvesterfeuerwerk, ein Designer-Outlet und für längere Zeit auch eine Peepshow. Da wir auf dem Weg in unsere Wohnung öfter an dem Haus vorbeikamen, wurde unsere Neugier immer größer, den verruchten Ort einmal zu besuchen, denn wir hatten keine Ahnung, was dort genau vor sich ging.
An diesem Abend nahmen wir uns ein Herz und beschlossen, eine Inspektion des Etablissements vorzunehmen, aus rein ethnologischem Erkenntnisinteresse heraus, versteht sich. Meine Freundin Claudia kam als Anstandswauwau mit, Vicco setzte Mütze und Sonnenbrille auf, um nicht erkannt zu werden, und wir schlichen uns wie Schwerverbrecher
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