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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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Mitte
    damit die Mutter nicht zu knapp
    bekam sie es gleich doppelt ab
    die Braut trägt’s klein und ganz weit hinten
    damit es niemand leicht kann finden
    die Magd hat’s weich, der Knecht hat’s hart
    ein jeder hat’s auf seine Art.
    Und, worum handelt es sich? *
    Aber es gab auch den ganz anderen, den ernsten und emotionalen Vicco. 1985 fand im Dom seiner Geburtsstadt Brandenburg an der Havel eine große Ausstellung seiner Zeichnungen statt. In einer Radiosendung im RIAS erzählte er damals, dass seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war und er an sie nicht mehr Erinnerungen hatte als an Brandenburg. Er sprach von einem »ungeheuerlichen Gefühlskomplex«, der nach so langer Zeit für ihn auf einmal Wirklichkeit wurde, in einer der schönsten Landschaften, die er sich vorstellen konnte, bei einem Wetter, das nicht besser sein könnte, »mit Menschen, die nicht netter sein könnten«. Schließlich gab er bewegt zu, dass dies alles zusammen eines der eindrucksvollsten Erlebnisse »meines nicht so ganz kurzen Lebens« gewesen sei.
    Nachdem er mehrere Tage in der Umgebung Berlins herumgefahren war, stellte er beglückt fest, dass in der DDR so manches erhalten geblieben war, was in der Bundesrepublik längst verschwunden war. Mit der profitablen Modernisierung historischer Gebäude hatte Vicco schon immer seine Probleme. Mehr als alles andere hasste er es, wenn aus alten Häusern die historischen Fensterkreuze verschwanden und durch pflegeleichte, aber scheußlich großflächige Isolierglasscheibenersetzt wurden. »Ich bin betroffen von der Schönheit dieses Landes«, sagte er damals. Dass die DDR-Oberen solches Lob möglicherweise gerne hörten, kümmerte ihn wenig.
    Nach seinem Besuch in Brandenburg trafen wir uns in Berlin. Auch wenn wir uns in Bezug auf den Umgang mit der DDR immer noch nicht einig waren, so verstand ich doch, dass es ihm auch diesmal weniger um das Politische ging, als vielmehr darum, mit seiner Anwesenheit seinen Lesern, seinem Publikum jenseits der Mauer Hoffnung zu machen und Menschen zueinanderzuführen – wie schon beim Erscheinen des »Dicken Loriot-Buches«.
    Aber es war auch der Schmerz über das verschwundene Preußen, der ihn in der DDR überkam. Ein Jahr später gab er in einem Interview zum Thema Preußen zu, dass er, wie eine Mutter zu einem kranken Kind, ein besonders enges Verhältnis zum zerstörten Preußen hatte: »Vielleicht gerade deswegen, weil es nicht mehr existiert und weil unsere Familie und meine ganze Vergangenheit auf dem Leben in Preußen und der Geschichte Preußens beruht – ob sie nun positiv oder negativ gewesen ist.« Es bedeutete ihm schon viel.
    Humoristisch verarbeitet hat er die Eindrücke aus seiner Geburtsstadt nicht. Er wollte etwas, das ihn im Herzen so berührte, nicht in eine witzige oder etwa satirische Form kleiden: Er müsse sich, im Gegenteil, »Mühe geben, nicht etwa sentimental zu werden«.
    Er liebte sein Brandenburg und beglückte seine Fans im anderen Teil Deutschlands zwei Jahre später erneut, als er mit Evelyn Hamann im »Palast der Republik« in Ost-Berlin eine bejubelte Lesung hielt, bei der, wie schon erwähnt, endlich »Geigen und Trompeten« aufgezeichnet wurde.
    Gelegentlich ließ sich Loriot dann doch zu kleinen Spitzen gegen das System der DDR hinreißen. Am 9. März 1989 sagte er anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung seiner Werke in Weimar: »Als meine Frau und ich vorgestern am frühen Nachmittag die Stadt erreichten, führte uns der Weg auf den Theaterplatz, wo wir zunächst eine Weile in gebührender Andacht vor dem Marx-Engels-Denkmal verharrten, bis uns, durch das Fehlen der charakteristischen Barttracht beider Herren, die ersten Zweifel kamen. Dann sahen wir auch schon, dass es sich hier nicht um führende Politiker, sondern vielmehr um die beiden bedeutendsten DDR-Schriftsteller handelte: Goethe und Schiller nämlich.«
    Auf den Tag genau ein Jahr zuvor fand die Uraufführung seines ersten Spielfilms »Ödipussi« im Ost-Berliner Kino »Kosmos« statt, um 16 Uhr, also vier Stunden vor der abendlichen Premiere in West-Berlin. Bevor der Vorhang sich hob, wandte sich Loriot an die Ost-Berliner Kinozuschauer und drückte angesichts des mit über tausend Menschen bis auf den letzten Platz belegten Kinos seine »Besorgnis« aus, der Aufbau des Sozialismus könne gestört werden, wenn so viele Menschen schon am frühen Nachmittag ihre Arbeit unterbrochen hätten: »Dass mir das nicht

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