Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Tisch bestellt. Es gab Herrn Bolls landesweit gepriesenen Gänsebraten.
Frau Boll, eine liebenswürdige Engländerin, führte uns an den festlich gedeckten, ruhig gelegenen Tisch. Im Kamin prasselte ein Feuer, das Lokal war gut besucht, aber nicht überfüllt, gut bürgerliches, gediegenes Publikum. An den Wänden hing eine ständige Ausstellung Hamburger Künstler, unter anderem der mit mir befreundeten Maler Horst Janssen und Paul Wunderlich.
Der Gänsebraten war vorzüglich, wir dankten Frau Boll. Später kam ihr Mann dazu und neigte sich über den Tisch. Ich erstarrte. Unheilverkündend lag in seiner Hand etwas Großes, Sperriges und Drohendes: ein alter ledergebundener Foliant – das Gästebuch. Das legte er, als wir eigentlich fast schon gehen wollten, sorgsam vor mich hin. »Sie können natürlich etwas schreiben, Herr Neugebauer, aber über eine lustige Zeichnung würde ich mich noch mehr freuen«, sagte Herr Boll und zog sich freundlich lächelnd zurück.
Als er weit genug von unserem Tisch entfernt war, schlugen wir das kostbare Buch auf und sahen all die Widmungen, Gedichte und Zeichnungen, prachtvolle Dinge von Leuten, die gerne in Gästebücher schreiben, darunter auch Zeichnungen von Janssen und Wunderlich.
Wir bestellten erst mal noch einen Wein, saßen da und überlegten. Marion ermunterte mich, mich ebenfalls in dem Buch zu verewigen. Ich murmelte: »Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll.« – »Mach doch irgendwas Lustiges.« – »Pass mal auf, Marion, ich bin leider nicht Vicco«, der hatte sein Nasenmännchen, mit ’ner Gabel oder ’nem Blümchen im Mund, das ging verhältnismäßig schnell, war immer komisch und von Loriot. Aber ich hatte keine Standardfigur. Ich konnte ja schlecht Zeus Weinstein [Peter Neugebauers Krimifigur] reinzeichnen, was sollte der denn in Bolls Gästebuch machen? – »Na, irgendwas Lustiges« – »Mir fällt aber nichts Lustiges ein! Ich kann Herrn Boll zeichnen, aber was soll der denn Lustiges machen?« – »Du musst auf sein Essen eingehen, auf seine exzellente Küche …«
Ich flüsterte: »Außerdem sieht Herr Boll gar nicht lustig aus, und wie du weißt, kann ich keine Porträtkarikaturen zeichnen, das konnte ich noch nie.«
Ich trank noch einen Rotwein. Herr Boll linste neugierig zu uns herüber, als Marion, um mich zu lockern, vielleicht aber auch um mich zu provozieren, mit einem durchaus ironisch gemeinten Vorschlag herausplatzte: »Du zeichnest irgendwas mit Essen und schreibst darunter ›Boll ist toll!‹.«
Große Pause. Wenn keine anderen Gäste im Restaurant gewesen wären, hätte ich vermutlich losgeschrien, so zischte ich: »›Boll ist toll!‹, bist du noch ganz bei dir? Ich soll hier, neben Janssen und Wunderlich, ›Boll ist toll!‹ schreiben?? Ich war am Boden zerstört. Inzwischen hatte ich auch ein bisschen viel getrunken und wusste immer weniger, was ich zeichnen und schreiben sollte. »›Boll ist toll‹, Marion, das kann doch nicht wahr sein …«
Ich verließ das Restaurant, ging zum Wagen und holte ein kleines Skizzenbuch. Zurück am Tisch, machte ich ein paar Entwürfe, ohne dass Herr Boll davon etwas merken durfte. Furchtbares, grauenhaftes Gekritzel. Wir bestellten noch mehr Wein. Als nur noch zwei, drei Gäste im Raum waren, schielte das Ehepaar Boll immer intensiver zu uns herüber.
»Gut, ist mir jetzt auch scheißegal, ich schreib ›Boll ist toll!‹ …« – »Ja«, sagte Marion, »ist doch eigentlich gar nicht soo schlecht.« – »Und was soll ich dazu zeichnen?« – »Ja, was hat denn so ein Koch? Der hat’n Kochtopf oder ’ne Pfanne, so ’ne schöne altmodische Pfanne …« – »Oh ja«, sagte ich, und das meinte ich nun wieder ironisch, »ich hab ’ne tolle Idee. Er hat einen Kochtopf, und – das kennt man ja aus alten Wilhelm-Busch-Zeichnungen oder aus altmodischen Humorzeichnungen dieser Art – aus dem Kochtopf kräuselt sich eine Rauch- oder Dampffahne, und aus dieser Rauchfahne entwickelt sich der Schriftzug ›BOLL – IST – TOLL!‹« Vor einer halben Stunde hätte ich fast losgebrüllt, jetzt hatte ich kapituliert. Nur: »Wie entwickelt sich denn so eine Rauchfahne aus einem Kochtopf?«
Nun muss man wissen, dass ich nicht einmal einen Bleistift aus dem Kopf zeichnen kann. Ich habe auch deswegen immer im Büro im »Stern« gezeichnet, weil ich dort alle Gegenstände innerhalb von zehn Minuten aus dem Archiv geliefert bekommen habe, wenn ich sie als Vorlage brauchte. Aber das Archiv war
Weitere Kostenlose Bücher