Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
schlechten Gewissens in das Haus.
Der Mann an der Kasse war gerade damit beschäftigt, Rollen mit 1-DM-Münzen in seine Kasse zu entleeren, damit er für seine Kunden immer genügend Wechselgeld bereithatte. So konnten wir unbemerkt zu dritt in einer der kreisförmig angeordneten engen Kabinen verschwinden. Nach Einwurf einer D-Mark in den »für den Münzeinwurf bestimmten Münzeinwurf« fuhr ein kleines Rollo nach oben und gab ein winziges Fenster frei, hinter dem ein rotierendes rundes Bett sichtbar wurde, auf dem sich eine mehr oder weniger bekleidete junge Dame trostlos räkelte. Hätte sie zu unserem Fensterchen geschaut, so hätte sich ihr ein seltsames Bild geboten: drei Augenpaare, die kichernd versuchen, um die Wette durch die kleine Scheibe einen Blick ins Innere der Rotunde zu erhaschen. Nach fünf Minuten war das höchst fragwürdige Vergnügen vorbei. Das Rollo fuhr wieder herunter, wir waren erlöst. Als wir versuchten, den Laden ebenso unbemerkt zu verlassen, wie wir ihn betreten hatten, erspähte uns der Kassierer und rief den Fliehenden hinterher: »Det jeht aba nich, Leute, für eine Mark ssu dritt piepen!«
Als ich, lange nach unserer Zusammenarbeit, mehrere Produktionen mit Harald Juhnke drehte, erzählte mir Vicco von einer ungewöhnlichen Begegnung mit meinem damaligen Hauptdarsteller. Vicco hat immer gerne in Cafés und Hotelhallen geschrieben. Das gedämpfte Treiben an diesen öffentlichen Orten inspirierte ihn, ohne ihn abzulenken. Einmal saß er in der Halle des Hotels »Vier Jahreszeiten« in München, als ein sehr fröhlicher und kommunikativer Harald Juhnke die Halle betrat und sich mehr oder weniger ungefragt an Viccos Tisch setzte. Man kam ins Gespräch, und Juhnke bestellte sich einen Champagner nach dem anderen. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Immerhin war es wohl ein angeregter Nachmittag, den der Humorist und der Entertainer miteinander verbrachten. Als Juhnke ging, inzwischen doch ziemlich betrunken, stand er auf, deutete mit raumgreifender Bewegung auf den Tisch voller Champagner- und Schnapsgläser und sagte mit schleifender Zunge: »Sie übernehmen das wohl …« Dann verabschiedete er sich. Vicco übernahm. Wenn er die Geschichte erzählte, imitierte er Juhnkes Trunkenheit meisterhaft.
Aber auch da, wo die Wirklichkeit ganz und gar nicht komisch war, gelang es Vicco, mit seinem einzigartigen Instinkt das Komische im Normalen aufzuspüren. In solchen Momenten konnte man durch eine Bemerkung von ihm kurze Einblicke in seine »innere Werkstatt« erhaschen.
So warteten wir einmal anlässlich einer total ausverkauften Premiere vor der Deutschen Oper Berlin auf unsere Begleitung. Die Deutsche Oper liegt an der stark befahrenen mehrspurigen Bismarckstraße, die aus der Stadt hinausführt. Um uns herum standen zahllose Opernfreunde, die den neu ankommenden Besuchern Schilder wie »Karte gesucht« oder »Suche 1 billige Karte« entgegenhielten. Vicco beugte sich zu mir und sagte: »Wäre es nicht komisch, wenn hier jemand mit Parka und Rucksack stehen würde und ein Schild ›Hannover‹in die Höhe hält?« Der Blick des humoristischen Zeichners schlief nie.
Es ist die Fähigkeit, in jeder, auch noch so unscheinbaren Situation eine Keimzelle von Komik zu finden. Wer sich mit ähnlicher Entdeckerlust wie Loriot der Realität nähert, wird reich belohnt. Was dann allerdings auf die komische Idee folgt, ist die harte Arbeit der Ausführung.
Sein Freund Patrick Süskind hat das einmal so beschrieben: »Was ich am meisten an seinem Werk bewundere, ist die Art, wie gut alles gemacht ist – wie gut es gearbeitet ist, hätte ich beinahe gesagt, als wäre er ein Handwerker, ein Goldschmied etwa –, und meine damit nicht einen Oberflächenglanz, sondern das Wohldurchdachte, das durch und durch Ausgetüftelte, das mit Raffinement und größter Sorgfalt Erzeugte seiner Produktion.«
Loriots Komik funktioniert aber, so scheint es, nur in Deutschland. Es gab zwar Versuche, seine Sketche für das englische und das französische Fernsehen zu übersetzen – in England sogar mit einem englisch sprechenden Loriot auf dem Sofa –, dennoch war ihm außerhalb des deutschen Sprachraums kein großer Erfolg beschieden. Hape Kerkeling hatte dafür eine einleuchtende Erklärung: »Auf eine internationale Karriere hat Loriot ja immer verzichtet, da er nach eigenem Bekunden Worte wie Sitzgruppe oder Auslegeware für nicht ins Englische übersetzbar hielt.«
Auch mit dem Früchtedialog und der
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