Der goldene Buddha
Anzug mit Weste und blau gepunkteter Fliege. Seine schwarzen ledernen Schnürschuhe waren genauso auf Hochglanz poliert wie seine Fingernägel.
Talbot schätzte den Mann auf Ende fünfzig. Das ordentlich frisierte kurze Haar war grau meliert.
Anlässlich einer Geschäftsreise nach London hatte Talbot versucht, einen Blick auf Spensers Laden zu werfen. Die Telefonnummer war ihm nicht bekannt gewesen, und das kleine Steingebäude hatte über kein Namensschild verfügt und so gewirkt, als sei dort vor hundert Jahren die Zeit stehen geblieben – abgesehen von der unauffälligen Videokamera über dem Klingelknopf. Talbot hatte zweimal geklingelt, aber es hatte ihm niemand geöffnet.
Spenser spürte, dass Talbot ihn beobachtete, schaute aber nur aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber. Seines Wissens interessierten sich außer ihm sieben weitere Männer für das Artefakt, das er heute erwerben wollte. Der Amerikaner würde vermutlich am höchsten bieten. Talbots Käufer war ein streitbarer Software-Milliardär aus dem Silicon Valley mit einer Vorliebe für asiatische Kunst. Das aufbrausende Wesen des Mannes konnte für Spenser nur von Vorteil sein. Sein Ego würde ihn vielleicht dazu bringen, das ursprünglich beabsichtigte Gebot zu erhöhen, aber sobald er auch damit keinen schnellen Erfolg erzielte, wurde er für gewöhnlich wütend und stieg aus. Diese Neureichen sind ja so berechenbar, dachte Spenser. Dann erhob er sich und ging wieder auf sein Zimmer. Die Auktion war für dreizehn Uhr angesetzt.
»Artikel siebenunddreißig«, sagte der Auktionator ehrfürchtig.
»Der goldene Buddha.«
Man rollte eine große Mahagonikiste auf das Podium. Der Auktionator griff nach dem Verschluss der Tür.
Es waren nur wenige Bieter zugegen. Dies war eine höchst geheime Auktion, und man hatte von vornherein nur einen kleinen Kreis von Auserwählten eingeladen. Nicht jeder konnte es sich leisten, erlesene Kunstwerke zwielichtiger Herkunft zu erwerben.
Spenser hatte noch kein einziges Gebot abgegeben. Artikel einundzwanzig, eine Degas-Bronze, die vor zwölf Jahren aus einem Museum gestohlen worden war, hatte ihm gut gefallen, aber die Gebote waren über den Betrag gestiegen, den sein südamerikanischer Auftraggeber ihm als Limit gesetzt hatte.
Spenser wollte seinen Kundenkreis in Zukunft möglichst auf Leute begrenzen, die ihm keine Preisvorgaben machten, selbst wenn es um Millionenbeträge ging. Die heutige Versteigerung war der erste Schritt zur Sicherung seines Ruhestands. Der Auktionator öffnete die Tür der Kiste. Im selben Moment betätigte Spenser die Kurzwahltaste des kleinen Satellitentelefons in seiner Westentasche. Er sprach in das winzige Mikrofon, das an seinem Jackettaufschlag hing.
»Bitte richten Sie Ihrem Chef aus, dass der gewünschte Gegenstand zur Versteigerung ansteht«, sagte er zu dem Assistenten in vielen tausend Kilometern Entfernung.
»Er möchte wissen, ob Ihre Erwartungen erfüllt sind.«
Spenser betrachtete die massive Goldstatue. Alle Anwesenden verstummten.
»Sie werden sogar deutlich übertroffen«, sagte Spenser leise.
Der Assistent gab die Information weiter. Es vergingen ein paar Sekunden. »
Um jeden Preis
«, sagte er dann.
»Es wird mir eine Ehre sein«, erwiderte Spenser und dachte an die Geschichte des Objekts.
Der goldene Buddha war im Jahr 1288 geschaffen worden. Die Herrscher des späteren Vietnam hatten die Statue in Auftrag gegeben, um ihren Sieg über die Streitmacht des Kublai Khan zu feiern. Zweihundertsiebzig Kilogramm massiven, in Laos gewonnenen Goldes wurden zu einem rund hundertachtzig Zentimeter hohen Abbild des Erleuchteten geformt. Jadestücke aus dem alten Siam bildeten die Augen, und um den Hals lag eine Kette aus burmesischen Rubinen. Der Schmerbauch des Buddha wurde von Saphiren aus Thailand gesäumt, und sein Bauchnabel war ein großer runder Opal, der irisierend funkelte.
Im Jahr 1372 wurde die Statue dem ersten Dalai-Lama als Geschenk überreicht.
Die nächsten 587 Jahre verbrachte der goldene Buddha in einem tibetischen Kloster und begleitete dann den Dalai-Lama ins Exil. Als er jedoch zu einer Ausstellung in die Vereinigten Staaten transportiert werden sollte, verschwand er auf dem Flughafen von Manila. Präsident Ferdinand Marcos galt bis zuletzt als Hauptverdächtiger.
Die späteren Besitzverhältnisse wurden nicht bekannt, bis die Statue plötzlich auf rätselhafte Weise zu dieser Auktion wieder auftauchte. Die Identität des Verkäufers würde geheim
Weitere Kostenlose Bücher