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Der goldene Esel

Titel: Der goldene Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucius Apuleius
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gezieme sich keineswegs, einen Ausspruch zu tun, bevor nicht die Gründe und Gegengründe beider Parteien kaltblütig geprüft wären. Er würde nimmermehr zugeben, daß jemand bei ihnen wie bei wilden barbarischen Nationen oder bei selbstherrischen Tyrannen unverhörter Sache verurteilt und der Welt mitten im Frieden ein so abscheuliches Beispiel von Ungerechtigkeit gegeben würde!
    Diese kluge Vorstellung war nicht fruchtlos. Augenblicklich erhielt der Herold Befehl, auszurufen: »Die erwählten Väter sollen zu Rate sitzen!«
    Sobald ein jeglicher nach seinem Range Platz genommen, trat abermals auf des Herolds Ruf der vorige Ankläger auf. Auch der Beklagte ward vorgeladen und eingeführt, und wie im Marsgerichte zu Athen ward den Sachwaltern angedeutet, sonder Einleitung in die Reden und ohne Erregung der Leidenschaften zu sprechen!
    Daß sich dies alles so zugetragen, weiß ich aus verschiedenen Gesprächen, die ich mitanzuhören Gelegenheit hatte. Mit welchen Worten aber Ankläger seine Klage vorgebracht und wie Beklagter sich dagegen verteidigt, ferner ihre gegenseitigen Repliken, Dupliken, Tripliken weiß ich nicht, da ich nicht selbst dabei zugegen gewesen, sondern daheim an meiner Krippe blieb, und was ich nicht weiß, kann ich Euch auch nicht erzählen. Doch was ich sonst erfahren, will ich treulich hier niederschreiben.
    Nachdem der Wortwechsel beider Parteien ein Ende genommen, tat der Rat folgenden Spruch: »Die Wahrheit so schwerer Beschuldigungen sei durch gründliche Beweise an den Tag zu legen, Verdacht und Mutmaßung allein seien nicht hinlänglich. Kläger müsse notwendig den Sklaven stellen, der ganz allein um die Sache wissen solle«.
    Es geschah.
    Allein dieser Schurke, den weder der ungewisse Ausgang dieses großen Gerichts noch der Anblick der hochansehnlichen Ratsversammlung oder sein böses Gewissen aus der Fassung zu bringen vermochten, erzählte lauter selbsterdichtete Lügen her, die er für die wirkliche Wahrheit ausgab. Er sagte aus:
    Der Jüngling habe aus Unwillen, daß er bei der Stiefmutter kein Gehör gefunden, ihn zu sich gerufen, habe, um an derselben sich zu rächen, ihm aufgetragen, ihren Sohn umzubringen, habe ihm eine große Belohnung für seine Verschwiegenheit versprochen, habe auf seine Weigerung ihn zu erstechen gedroht, habe ihm eigenhändig zubereitetes Gift gegeben, um es seinem Bruder beizubringen; habe aber endlich aus Verdacht, als zaudere er nur mit der Vergiftung, um ihn zu verraten, dem Kinde den Giftbecher mit eigner Hand gereicht.
    Nach dieser mit aller Wahrscheinlichkeit ausgeschmückten und mit verstellter Furcht vorgebrachten Aussage des Bösewichts schritt man zum Rechtsspruch.
    Keiner der Richter blieb dem Jüngling günstig genug, um ihn nicht als offenbar überführt zum Säcken zu verurteilen.
    Bereits sollten die Stimmtafeln, die insgesamt mit dem Zeichen der Verdammung beschrieben waren, nach uralter Sitte in die eherne Urne geworfen werden. Dies getan, wäre das Schicksal des armen Beklagten unwiderruflich entschieden gewesen, und er wäre unverzüglich den Händen des Nachrichters zur Vollziehung des Urteils überliefert worden.
    Allein ein alter grauköpfiger, biederer Ratsherr, ein Arzt von anerkannter Geschicklichkeit, hielt mit der Hand die Öffnung der Urne zu, damit niemand seine Stimmtafel hineinwürfe, und sprach also zur Versammlung:
    »Da Sie, meine Herren, mich in diesem hohen Alter mit Ihrer Achtung beehren, freue ich mich, daß ich so lange gelebt habe, und um so weniger kann ich jetzt zugeben, daß an diesem fälschlich beschuldigten Jüngling ein offenbarer Meuchelmord begangen werde noch daß Sie, von einem nichtswürdigen Sklaven belogen, wider Eid und Pflicht richten. Religion und Gewissen fordern von mir Gerechtigkeit. Hören Sie, wie sich die Sache eigentlich verhält!
    Vor kurzem kam der Schurke da (auf den Sklaven zeigend) zu mir und bot mir hundert Goldstücke, wenn ich ihm das allerschleunigst wirkende Gift verkaufen wollte; es sei für einen Kranken, der unsäglich an einem unheilbaren Übel leide und sich dadurch von der Qual des Lebens befreien wolle. Ich merkte zwar bald aus dem üblen Zusammenhang seiner Reden Unrecht; gleichwohl gab ich ihm einen Trank, doch nahm ich Bedacht auf die darauf zu erwartende Untersuchung und nahm das mir gebotene Geld nicht so schlechtweg an, sondern sagte: Da leicht eins von den Goldstücken unwichtig oder falsch sein könnte, so möchte er sie mir lieber mit seinem Petschierringe in dem

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