Der Goldene Kompass
schwarzen Hände vor den Mund geschlagen und zitterte vor Erwartung. Mrs. Coulter zog den Gürtel von Lyras Taille und knöpfte den Beutel auf. Ihr Atem ging schneller. Sie nahm das schwarze Samtpäckchen und wickelte die Blechdose aus, die Iorek Byrnison angefertigt hatte.
Pantalaimon war inzwischen wieder eine Katze und duckte sich sprungbereit. Lyra zog die Beine an und schwang sie an Mrs. Coulter vorbei auf den Boden, so daß auch sie rechtzeitig losrennen konnte.
»Was ist denn das?« fragte Mrs. Coulter belustigt. »Was für eine komische alte Dose! War das als Schutz gedacht, Liebes? Und all das Moos… Du warst wirklich vorsichtig. Da ist ja noch eine Dose drin! Sogar verlötet! Wer hat das gemacht, Liebes?«
Aber sie wartete die Antwort gar nicht ab, so begierig war sie, die Dose zu öffnen. Sie holte ein Messer aus ihrer Handtasche, an dem sich noch andere Werkzeuge befanden, klappte eine Klinge auf und bohrte sie unter den Deckel.
Sofort ertönte ein wütendes Summen.
Lyra und Pantalaimon bewegten sich nicht. Verblüfft und neugierig bog Mrs. Coulter den Deckel hoch, und der goldene Affe beugte sich interessiert über die Dose.
Bevor sie begriffen, wie ihnen geschah, kam ein schwarzes Etwas, der fliegende Spion, aus der Dose geschossen und knallte mit voller Wucht in das Gesicht des Affen.
Schreiend warf sich der Affe nach hinten, und Mrs. Coulter, die natürlich dasselbe spürte wie er, stimmte vor Schmerzen und Angst in das Geschrei ein. Und dann schwirrte der kleine mechanische Teufel an ihrer Brust und ihrer Kehle vorbei zu ihrem Gesicht hinauf.
Lyra zögerte keine Sekunde. Pantalaimon sprang zur Tür, und sie war mit einem Satz bei ihm, riß die Tür auf und rannte so schnell wie noch nie in ihrem Leben.
Pantalaimon flog vor ihr her und kreischte: »Feueralarm!«
An der nächsten Ecke sah sie einen Feuermelder, und mit einem verzweifelten Faustschlag zertrümmerte sie das Glas und drückte den Knopf. Dann rannte sie weiter in die Richtung der Schlafsäle und zerschmetterte das Glas von zwei weiteren Feuermeldern. Immer mehr Menschen traten auf die Gänge und hielten nach dem Feuer Ausschau.
Kurz vor der Küche brachte Pantalaimon Lyra auf eine Idee, und sie stürzte hinein. Im nächsten Augenblick hatte sie alle Gashähne aufgedreht und warf ein Streichholz auf die nächste Brennstelle. Anschließend zog sie ein Päckchen Mehl aus einem Regal und schleuderte es gegen eine Tischkante, so daß es aufplatzte und sich eine weiße Wolke ausbreitete; sie hatte nämlich gehört, Mehlstaub würde in der Nähe von Feuer explodieren.
Dann rannte sie hinaus und so schnell sie konnte zu ihrem Schlafsaal. Die Gänge hatten sich inzwischen gefüllt. Kinder rannten aufgeregt hin und her, denn das Wort Flucht hatte sich mittlerweile herumgesprochen. Die Älteren trieben die Jüngeren eilig vor sich her zu den Kammern, in denen die Kleider aufbewahrt wurden. Erwachsene versuchten, die Übersicht zu behalten, aber keiner wußte, was eigentlich los war. Überall brüllten, schubsten, schrien und drängelten Menschen.
Wie Fische schössen Lyra und Pantalaimon durch dieses Durcheinander in Richtung Schlafsaal, und in dem Moment, in dem sie ihn erreichten, ließ eine dumpfe Explosion hinter ihnen das Gebäude erzittern.
Die anderen Mädchen mußten schon geflohen sein, denn der Raum war leer. Lyra schob den Spind in die Ecke, schwang sich hinauf, zerrte ihre Pelze aus dem Spalt über der Decke und tastete nach dem Alethiometer. Es war noch da. Hastig warf sie sich die Pelze über und zog die Kapuze über den Kopf, und als Pantalaimon, der als Spatz an der Tür saß, »Jetzt!« rief, rannte sie hinaus. Zum Glück rannten gerade ein paar Kinder, die bereits warme Kleider gefunden hatten, den Flur entlang in Richtung Haupteingang, und Lyra schloß sich ihnen an. Sie schwitzte, ihr Herz hämmerte wild, und sie wußte, daß es jetzt fliehen hieß oder sterben.
Doch der Weg war blockiert. Das Feuer in der Küche hatte sich in Windeseile ausgebreitet, und das explodierende Mehl oder Gas hatte Teile des Daches zum Einstürzen gebracht. Kinder und Erwachsene kletterten über umgeknickte Pfeiler und Balken nach oben, um in die bitterkalte Luft hinauszukommen. Der Gasgeruch war durchdringend. Dann kam es erneut zu einer Explosion, lauter und näher als die erste. Ihre Wucht warf mehrere Leute um, und Angst- und Schmerzensschreie gellten durch die Luft.
Lyra rappelte sich auf und stieg über die Trümmer, immer hinter
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