Der Goldene Kompass
aber kein Gypter«, sagte ein Junge.
»Das macht nichts. Sie nehmen dich trotzdem mit.«
»Wohin?« fragte jemand verdrossen.
»Nach Hause«, antwortete Lyra. »Ich bin doch hergekommen, um euch zu retten, und ich hab die Gypter mitgebracht, damit sie euch wieder nach Hause bringen. Wir müssen nur noch ein kleines Stückchen weitergehen, dann treffen wir sie. Der Bär war bei ihnen, also können sie nicht weit weg sein.«
»Habt ihr diesen Bären gesehen!« sagte ein Junge. »Als er den Dæmon aufschlitzte, starb der Mann, als ob ihm jemand das Herz herausgerissen hätte, einfach so!«
»Ich wußte gar nicht, daß man Dæmonen töten kann«, meinte jemand anders.
Alle redeten jetzt durcheinander; Aufregung und Erleichterung hatten ihnen die Zunge gelöst. Und warum sollten sie sich nicht unterhalten, solange sie dabei nicht stehenblieben.
»Stimmt es eigentlich, tun sie das wirklich in der Station?« fragte ein Mädchen.
»Ja«, sagte Lyra. »Ich hätte nie gedacht, daß ich je einen Menschen ohne Dæmon sehen würde. Aber auf dem Weg nach Bolvangar haben wir einen Jungen entdeckt, der ganz allein war, ohne Dæmon. Er hat dauernd gefragt, wo sein Dæmon sei und ob er ihn wiederfinden würde. Er hieß Tony Makarios.«
»Den kenne ich!« rief jemand, und andere stimmten ein: »Ja, sie haben ihn vor ungefähr einer Woche weggebracht…«
»Sie haben seinen Dæmon abgeschnitten«, erzählte Lyra. Sie wußte, wie schrecklich die Kinder diese Vorstellung finden würden. »Kurz nachdem wir ihn gefunden haben, ist er gestorben. Die abgeschnittenen Dæmonen haben sie in Käfigen in einem viereckigen Gebäude dahinten eingesperrt.«
»Das stimmt«, sagte Roger. »Und Lyra hat sie während des Feueralarms freigelassen.«
»Ja, ich war auch dabei!« sagte Billy Costa. »Zuerst wußte ich gar nicht, was das ist, aber dann habe ich gesehen, wie sie mit dieser Gans weggeflogen sind.«
»Aber wieso tun sie das?« fragte ein Junge. »Wieso schneiden sie den Menschen die Dæmonen ab? Das ist doch Folter! Warum tun sie so was?«
»Staub«, meinte jemand unsicher.
Der Junge lachte verächtlich. »Staub!« sagte er. »Daß ich nicht lache! Den haben die doch bloß erfunden! Ich glaub jedenfalls nicht dran.«
»Da, seht mal, was mit dem Zeppelin passiert!« rief jemand.
Alle sahen zurück. Das große Luftschiffjenseits der blendenden Lichter, unter denen der Kampf noch immer tobte, schwebte nicht mehr oben an seinem Ankermast; sein freies Ende hing schlaff herab, und dahinter stieg ein riesiger Ball auf…
»Der Ballon von Lee Scoresby!« rief Lyra und klatschte vor Freude in die Hände, die in dicken Fausthandschuhen steckten.
Die anderen Kinder starrten sie verblüfft an, aber Lyra trieb sie weiter. Sie war erstaunt, daß der Aeronaut mit seinem Ballon so weit gekommen war. Was er jetzt machte, war klar — eine großartige Idee: Er füllte den Ballon mit dem Gas des Zeppelins und schüttelte so ihre Verfolger ab!
»Los, lauft weiter, sonst erfriert ihr«, rief Lyra, denn einige Kinder zitterten und jammerten schon vor Kälte, und ihre Dæmonen gaben ein hohes, schwaches Wimmern von sich.
Das ärgerte Pantalaimon, und in der Gestalt eines Marders fuhr er barsch einen Eichhörnchendæmon an, der leise weinend auf der Schulter eines Mädchens lag: »Kriech gefälligst in ihren Mantel! Pluster dich dort auf und wärme sie!«
Der Dæmon des Mädchens erschrak und kroch sofort in den Anorak aus Kohleseide.
Das Problem war, daß diese Anoraks, auch wenn sie noch so dick mit hohlen Fasern aus Kohleseide gefüttert waren, lange nicht so warm hielten wie richtige Felle. Einige der Kinder sahen aus wie wandelnde Riesenboviste, so unförmig waren sie, aber trotzdem bot ihre Kleidung kaum Schutz vor der Kälte, denn sie stammte aus Fabriken und Labors einer Gegend, in der keine derartigen Temperaturen herrschten. Lyras Pelze sahen zwar zerlumpt aus und stanken, aber sie hielten wenigstens warm.
»Wenn wir die Gypter nicht bald finden, halten die anderen Kinder nicht durch«, flüsterte sie Pantalaimon zu.
»Sorge dafür, daß sie weiterlaufen«, flüsterte er zurück. »Sobald sie sich hinlegen, ist es aus mit ihnen. Du weißt, was Farder Coram gesagt hat…«
Farder Coram hatte Lyra oft von seinen Reisen in den Norden erzählt — genau wie Mrs. Coulter, wenn sie nicht gelogen hatte —, und eines hatten beide immer wieder betont: Man durfte auf keinen Fall stehenbleiben.
»Wie weit ist es denn noch?« fragte ein
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