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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Pantalaimon her, der ihr über das Geschrei und Geflatter der anderen Dæmonen hinweg zurief, wohin sie gehen sollte. Die Luft, die sie einatmete, war eisig, und sie hoffte, daß die anderen Kinder warme Kleider aufgetrieben hatten, denn was hatte es für einen Sinn, zu fliehen, wenn man dann draußen erfror.
    Die Flammen des Feuers loderten mächtig auf. Als Lyra auf dem Dach stand, über sich den nächtlichen Himmel, sah sie, wie die Flammen an den Rändern eines großen Loches in der Wand des Gebäudes leckten. Wie bereits am Nachmittag hatte sich am Haupteingang eine Schar von Kindern und Erwachsenen versammelt, nur waren diesmal die Erwachsenen aufgeregter und die Kinder ängstlicher, viel ängstlicher.
    »Roger!« rief Lyra. »Roger!« Pantalaimon, der mit scharfen Eulenaugen um sich spähte, krächzte, er hätte ihn entdeckt.
    Einen Moment später standen sie voreinander.
    »Sag den Kindern, sie sollen mir folgen!« brüllte Lyra ihm ins Ohr.
    »Sie wollen nicht — sie haben viel zuviel Angst…«
    »Dann sag ihnen, was mit den Kindern passiert, die verschwinden! Daß man ihnen mit einem großen Messer die Dæmonen abschneidet! Erzähl ihnen, was du heute nachmittag gesehen hast — die vielen Dæmonen, die wir freigelassen haben! Sag ihnen, daß ihnen dasselbe passiert, wenn sie hierbleiben!«
    Roger starrte sie mit offenem Mund entsetzt an, doch dann riß er sich zusammen und rannte zu einer Gruppe von Kindern, die unschlüssig in der Nähe standen. Dasselbe tat Lyra, und als die Nachricht die Runde machte, schrien einige Kinder auf und drückten angstvoll ihre Dæmonen an sich.
    »Kommt mit!« brüllte Lyra. »Bald werden wir gerettet! Wir müssen aus dem Lager raus! Los, vorwärts!«
    Als die Kinder das hörten, folgten sie ihr und rannten über den Platz auf die Lichterallee zu. Ihre Stiefel knirschten bei jedem Schritt im festgetretenen Schnee.
    Hinter ihnen brüllten Erwachsene Befehle, und dann stürzte polternd und krachend ein weiterer Teil des Gebäudes ein. Funken stoben in die Luft, und das Prasseln der aus dem Haus schlagenden Flammen klang, als würde Stoff zerrissen. Dann schnitt plötzlich ein anderes Geräusch durch diesen Lärm, schrecklich nah und bedrohlich. Auch wenn Lyra es nie zuvor gehört hatte, erkannte sie es sofort: Es war das Geheul der Wolfsdæmonen der tatarischen Wachen. Sie war wie gelähmt. Viele Kinder wollten vor Angst gleich wieder kehrtmachen, blieben jedoch stolpernd stehen, denn da kam bereits mit geschmeidigen Schritten der erste tatarische Wachsoldat angelaufen, ein Gewehr in den Händen und neben sich den grauen Schatten seines Dæmons.
    Hinter ihm folgten weitere Soldaten, alle in gefütterten Panzern und scheinbar ohne Augen — zumindest konnte man sie hinter den Schneeschlitzen ihrer Helme nicht sehen. Die einzigen Augen, die man sehen konnte, waren die schwarzen Mündungen ihrer Gewehre und die gelb glühenden Augen der Wolfsdæmonen über ihren geifernden Fängen.
    Lyra stockte. Nicht einmal im Traum hätte sie sich die Wölfe so schrecklich vorgestellt. Und jetzt, da sie wußte, wie ungerührt die Menschen in Bolvangar das große Tabu brachen, schauderte sie beim Gedanken an diese geifernden Zähne zurück.
    Die Tataren stellten sich am Tor zum Eingang der Lichterallee in einer Reihe auf, Seite an Seite mit ihren disziplinierten und militärisch ausgebildeten Dæmonen. Immer mehr Soldaten strömten herbei, und im nächsten Moment hatte sich bereits eine zweite Reihe gebildet. Kinder können nicht gegen Soldaten kämpfen, dachte Lyra voller Verzweiflung. Das war etwas anderes als die Kämpfe in den Lehmgruben von Oxford, wo die Kinder aus der Stadt die Kinder der Ziegelbrenner mit Lehmklumpen beworfen hatten.
    Oder war es vielleicht doch dasselbe? Sie erinnerte sich daran, wie sie einem Ziegelbrennerjungen, der sie zu Boden geworfen hatte, eine Handvoll Lehm in das breite Gesicht geschleudert hatte. Sofort hatte er sie losgelassen, um sich den Lehm aus den Augen zu reiben, und die Stadtkinder hatten sich auf ihn gestürzt. Damals hatte sie im Matsch gestanden, jetzt stand sie im Schnee.
    Wie am Nachmittag, diesmal jedoch in tödlichem Ernst, kratzte sie eine Handvoll Schnee zusammen und schleuderte dem nächstbesten Soldaten einen Schneeball ins Gesicht. »Werft sie in ihre Augen!« brüllte sie und warf schon den nächsten Schneeball.
    Andere Kinder folgten ihrem Beispiel, und plötzlich kam ein Dæmon auf die Idee, als Mauersegler neben den Schneebällen

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