Der Goldene Kompass
Farder Coram«, murmelte er.
Lyra sah seinen Dæmon an, ein Frettchen, das reglos neben seinem Kopf lag. Es hatte sich zusammengerollt, schlief aber nicht, denn seine Augen waren offen und genauso glasig wie die von Jacob.
»Was ist geschehen?« fragte Farder Coram.
»Benjamin ist tot«, kam die Antwort. »Er ist tot und Gerard gefangen.«
Jacobs Stimme klang heiser, und er atmete nur noch schwach. Als er stockte, streckte sich sein Dæmon unter Schmerzen aus und leckte seine Wange; nachdem er so wieder etwas zu Kräften gekommen war, konnte er fortfahren.
»Wir drangen heimlich ins Ministerium für Theologie ein, denn Benjamin hatte von einem der Gobbler, die wir erwischten, erfahren, daß dort ihr Hauptquartier ist, aus dem sie die Befehle empfangen…« Wieder versagte ihm die Stimme.
»Ihr habt Gobbler gefangengenommen?« fragte Farder Coram.
Jacob nickte, dann sah er seinen Dæmon an. Dæmonen sprachen normalerweise nicht mit anderen Menschen, sondern nur mit dem, dem sie zugehörten, aber manchmal, so wie jetzt, geschah es doch.
»In Clerkenwell«, sagte das Frettchen, »haben wir drei Gobbler geschnappt und gezwungen, uns zu sagen, für wen sie arbeiten, von wem sie ihre Befehle erhalten und so weiter. Wohin genau die Kinder gebracht werden, wußten sie nicht, nur daß sie nach Norden kommen, nach Lappland…«
Das Frettchen mußte abbrechen und nach Luft schnappen, bevor es fortfahren konnte. Seine kleine Brust zitterte.
»Die Gobbler haben uns also vom Ministerium für Theologie und von Lord Boreal erzählt. Benjamin meinte, er und Gerard Hook sollten ins Ministerium einbrechen, und Frans Broekman und Tom Mendham sollten versuchen, etwas über Lord Boreal zu erfahren.«
»Haben sie das?«
»Wir wissen es nicht. Sie kamen nicht zurück. Farder Coram, was wir auch anstellten, es war, als kannten sie unsere Pläne schon im voraus. Soweit wir wissen, wurden Frans und Tom, als sie in die Nähe von Lord Boreal kamen, bei lebendigem Leib gefressen.«
»Was geschah mit Benjamin?« fragte Farder Coram, als er bemerkte, daß Jacob immer rasselnder atmete und vor Schmerzen die Augen schloß.
Jacobs Dæmon ließ ein ängstliches und zärtliches Miauen hören, und die Frau schlug die Hände vor den Mund und trat ein oder zwei Schritte näher; sie sagte jedoch nichts, und der Dæmon sprach mit schwacher Stimme weiter.
»Benjamin, Gerard und wir begaben uns zum Ministerium nach White Hall, wo wir einen kleinen, kaum bewachten Nebeneingang fanden. Während die anderen das Schloß öffneten und hineingingen, standen wir draußen Wache. Sie waren kaum eine Minute drin, als wir einen Angstschrei hörten. Benjamins Dæmon kam herausgeflogen, winkte uns zu Hilfe und flog wieder hinein, wir zückten unsere Messer und stürzten ihm nach. Drinnen war es dunkel, und unheimliche Schatten und schreckliche Geräusche kamen von allen Seiten und brachten uns völlig durcheinander. Wir versuchten, etwas zu erkennen, als über uns plötzlich ein Tumult entstand. Ein entsetzlicher Schrei gellte durch das Treppenhaus, und dann stürzten Benjamin und sein Dæmon von oben herunter; der Dæmon versuchte noch verzweifelt, Benjamin aufzufangen, und umkreiste ihn flatternd, aber vergeblich — sie schlugen beide auf dem Steinboden auf und waren sofort tot.
Von Gerard konnten wir zwar nichts sehen, wir hörten ihn aber über uns schreien, und wir waren vor Angst wie gelähmt. Im nächsten Augenblick bohrte sich ein Pfeil, der von oben abgeschossen wurde, tief in unsere Schulter…«
Die Stimme des Dæmons wurde immer schwächer, und der verletzte Jacob stöhnte auf. Farder Coram lehnte sich vor und schlug sacht die Decke zurück. Aus einem Klumpen geronnenen Blutes an Jacobs Schulter ragte das gefiederte Ende eines Pfeiles. Schaft und Spitze steckten so tief in der Brust des armen Mannes, daß nur noch ungefähr fünfzehn Zentimeter zu sehen waren. Lyra wurde ganz mulmig.
Von der Anlegestelle erklangen Schritte und Stimmen. Farder Coram richtete sich auf und sagte: »Der Arzt ist da, Jacob, wir lassen dich jetzt in Ruhe. Sobald es dir bessergeht, unterhalten wir uns ausführlicher.«
Beim Hinausgehen drückte er der Frau die Schulter. Lyra hielt sich dicht hinter ihm, denn schon versammelten sich an der Anlegestelle Menschen, die tuschelnd auf sie zeigten. Farder Coram befahl Peter Hawker, sofort John Faa aufzusuchen. Dann wandte er sich an Lyra.
»Lyra, sobald wir wissen, ob Jacob überlebt oder stirbt, müssen wir uns noch mal
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