Der Goldene Kompass
Freunde. Er hat kein Blut mehr geschmeckt, seit ich den tatarischen Helden der Steppe von Kasachstan getötet habe; träumend hängt mein Hammer in meinem Boot, aber er wittert Blut in dem Wind, der aus Norden kommt. Letzte Nacht sprach er zu mir von seinem Durst, und ich sagte zu ihm: ›Bald ist es soweit.‹ Margaret, dich mögen viele Sorgen quälen, aber fürchte nicht, daß John Faas Herz zu weich sein könnte, um zuzuschlagen, wenn es an der Zeit ist. Und diese Zeit wird kommen, wenn der Verstand es sagt, nicht der blinde Zorn. — Will sonst noch jemand etwas sagen? Dann sprecht jetzt.«
Aber niemand meldete sich, und nach einer Weile griff John Faa nach der Glocke, um die Versammlung zu beenden. Er schwang sie kraftvoll hin und her und läutete so kräftig und laut, daß das Läuten die ganze Halle erfüllte und das Gebälk zum Klingen brachte.
John Faa und die anderen Männer verließen das Podium und begaben sich ins Besprechungszimmer. Lyra war ein bißchen enttäuscht. Wurde sie nicht aufgefordert mitzukommen? Tony lachte nur. »Sie müssen jetzt die Reise planen«, sagte er.
»Du hast deinen Teil beigetragen, Lyra. Jetzt sind John Faa und der Rat an der Reihe.«
»Aber ich habe doch noch gar nichts gemacht!« protestierte Lyra, als sie widerwillig hinter den anderen herging, zuerst aus der Halle hinaus und dann die mit Kopfsteinen gepflasterte Straße zur Anlegestelle hinunter. »Bisher bin ich doch nur vor Mrs. Coulter davongelaufen! Das war doch erst der Anfang. Ich will in den Norden!«
»Hör zu«, sagte Tony, »ich bring dir einen Walroßzahn mit, das versprech ich dir.«
Lyra machte ein finsteres Gesicht. Pantalaimon war damit beschäftigt, Tonys Dæmon Affengrimassen zu schneiden, aber der schloß verächtlich die gelbbraunen Augen. Ziellos schlenderte Lyra zur Anlegestelle, wo sie sich mit ihren neuen Freunden die Zeit vertrieb und Laternen an Schnüren über das dunkle Wasser baumeln ließ, um die glotzäugigen Fische anzuziehen. Wenn die Fische dann langsam zur Wasseroberfläche schwammen, versuchten die Kinder sie mit spitzen Stöcken aufzuspießen, allerdings ohne sie zu treffen.
Doch in Gedanken war Lyra im Besprechungszimmer bei John Faa, und schon bald stahl sie sich fort und über das Kopfsteinpflaster wieder zum Zaal hinauf. Im Fenster des Besprechungszimmers brannte Licht. Es war zwar zu hoch, um hineinzuschauen, aber aus dem Innern hörte Lyra gedämpftes Stimmengemurmel.
Sie ging zur Tür und klopfte fünfmal entschlossen an. Das Gespräch brach ab, ein Stuhl schrammte über den Boden, dann ging die Tür auf. Ein breiter Strahl des warmen Naphthalichts fiel auf die feuchten Stufen.
»Ja?« fragte der Mann, der die Tür geöffnet hatte.
Hinter ihm sah Lyra die anderen Männer am Tisch sitzen, vor sich die Säcke mit Gold, Papier und Stifte, Gläser und einen Krug mit Genever.
»Ich will mit in den Norden kommen«, sagte Lyra so laut, daß alle es hören konnten. »Ich will mitkommen und helfen, die Kinder zu befreien. Deswegen bin ich doch von Mrs. Coulter weggelaufen. Und ich wollte sogar schon vorher meinen Freund Roger befreien, den Küchenjungen von Jordan, der auch entführt wurde. Ich will mitkommen und helfen. Ich kenne mich in Navigation aus und kann anbaromagnetische Messungen an der Aurora vornehmen. Ich weiß, welche Teile von Bären eßbar sind, und ich kenne alle möglichen anderen nützlichen Dinge. Sie bereuen es bestimmt, wenn Sie mich hierlassen und dann dort feststellen, daß Sie mich brauchen. Und genauso, wie die Frau vorhin gesagt hat, daß Sie vielleicht auch Frauen brauchen, kann es doch sein, daß Sie auch Kinder brauchen. Sie können es nicht wissen, deshalb sollten Sie mich lieber mitnehmen, Lord Faa, und entschuldigen Sie bitte, daß ich das Gespräch unterbrochen habe.«
Sie stand jetzt mitten im Zimmer, und die Männer und ihre Dæmonen musterten sie aufmerksam, einige schmunzelnd, andere verärgert, aber Lyra hatte nur Augen für John Faa. Pantalaimon setzte sich in ihren Armen auf, und seine Wildkatzenaugen leuchteten grün.
»Daß wir dich mitnehmen und in Gefahr bringen, Lyra, kommt nicht in Frage«, sagte John Faa. »Sei dir darüber im klaren. Bleib hier, wo du sicher bist, und hilf Ma Costa. Das ist deine Aufgabe.«
»Aber ich lerne jetzt allmählich, das Alethiometer zu lesen. Ich verstehe jeden Tag mehr davon! Das brauchen Sie doch unbedingt
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