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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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fühlte, daß Übelkeit schlecht und Wohlbefinden gut war. Deshalb bewunderte sie zwar das Fell von Sophonax und stellte sich vor, wie es sich anfühlen würde, aber sie versuchte nie, Sophonax zu berühren.
    So gepflegt, gesund und schön Sophonax war, so entstellt und schwach war Farder Coram. Vielleicht war er krank gewesen oder durch einen Schlaganfall zum Krüppel geworden, jedenfalls konnte er nicht laufen, ohne sich auf zwei Stöcke zu stützen, und er zitterte unaufhörlich wie Espenlaub. Er hatte jedoch einen bemerkenswert scharfen und klaren Verstand, und schon bald hatte Lyra ihn besonders gern, weil er viel wußte und ihr so vieles beibringen konnte.
    »Was bedeutet dieses Stundenglas, Farder Coram?« fragte sie, als sie sich eines sonnigen Morgens auf seinem Boot über das Alethiometer beugte. »Die Nadel kehrt immer wieder dorthin zurück.«
    »Man findet oft einen Hinweis, wenn man genau hinsieht. Was ist der kleine Gegenstand über dem Stundenglas?«
    Lyra sah mit zusammengekniffenen Augen auf das Zifferblatt.
    »Ein Schädel!«
    »Und was, glaubst du, bedeutet ein Schädel?«
    »Tod… ist das der Tod?«
    »Richtig. Eine der vielen Bedeutungen des Stundenglases ist also der Tod. Der Tod ist sogar — nach der Zeit — die zweitwichtigste Bedeutung.«
    »Wissen Sie, was mir aufgefallen ist, Farder Coram? Die Nadel hat das Zifferblatt einmal umrundet, und beim zweitenmal ist sie genau an dieser Stelle stehengeblieben! Beim erstenmal hat sie so komisch gezuckt, beim zweitenmal ist sie stehengeblieben. Heißt das, die zweite Bedeutung ist gemeint?«
    »Wahrscheinlich. Welche Frage stellst du denn gerade, Lyra?«
    »Ich überlege…« Sie stockte überrascht, als sie merkte, daß sie tatsächlich unbewußt eine Frage gestellt hatte. »Ich habe eigentlich nur drei Bilder verknüpft, weil… Wissen Sie, ich habe an Mr. Ruyter gedacht… Und ich habe die Symbole Schlange, Tiegel und Bienenstock verknüpft, um zu fragen, wie er mit der Spionage vorankommt, und…«
    »Warum ausgerechnet diese drei Symbole?«
    »Weil ich dachte, daß ein Spion listig sein muß wie eine Schlange, und der Schmelztiegel könnte das Wissen bedeuten, das man aus den Dingen herauszieht, und der Bienenstock den Fleiß, weil Bienen immer so fleißig sind; aus Fleiß und Klugheit entsteht Wissen, ja, und darin besteht doch die Aufgabe des Spions. Also habe ich die Zeiger auf diese Bilder gestellt und in Gedanken diese Frage gestellt, und dann blieb die Nadel beim Tod stehen… Glauben Sie, daß es wirklich so funktioniert, Farder Coram?«
    »Es funktioniert bestimmt, Lyra. Wir wissen nur nicht, ob wir es richtig lesen, denn das ist eine Kunst für sich. Ich frage mich, ob…«
    Bevor er ausreden konnte, ertönte ein dringendes Klopfen an der Tür, und ein junger Gypter trat ein.
    »Verzeihung, Farder Coram, gerade ist Jacob Huismans zurückgekehrt. Er ist schwer verletzt.«
    »Er hat Benjamin de Ruyter begleitet«, sagte Farder Coram. »Was ist passiert?«
    »Er spricht nicht«, antwortete der junge Mann. »Kommt am besten sofort mit, Farder Coram, denn er wird nicht mehr lange durchhalten; er hat innere Blutungen.«
    Farder Coram und Lyra wechselten einen bestürzten und zugleich erstaunten Blick, und im nächsten Augenblick humpelte Farder Coram so schnell er konnte auf seinen Krücken hinaus. Sein Dæmon ging voraus, Lyra hüpfte ungeduldig neben ihm her.
    Der junge Mann führte sie zu einem Boot, das am Zuckerrübensteg vertäut lag. Eine Frau in roter Flanellschürze hielt ihnen die Tür auf. Sie sah Lyra mißtrauisch an, und als Farder Coram das merkte, sagte er beschwichtigend: »Es ist wichtig, daß das Mädchen hört, was Jacob zu sagen hat.«
    Daraufhin trat die Frau zurück und ließ sie herein. Ihr Dæmon, ein Eichhörnchen, hockte stumm auf einer hölzernen Standuhr. In einer Koje lag unter einer Flickendecke ein Mann mit bleichem, schweißüberströmtem Gesicht und glasigen Augen.
    »Ich habe nach dem Arzt geschickt, Farder Coram«, sagte die Frau mit bebender Stimme. »Bitte regt ihn nicht auf. Er hat furchtbare Schmerzen. Sie haben ihn eben erst von Peter Hawkers Boot gebracht.«
    »Wo ist Peter jetzt?«
    »Er macht gerade das Boot fest. Er hat gesagt, ich soll Euch rufen lassen.«
    »Das war völlig richtig.« Farder Coram wandte sich dem Verletzten zu. »Jacob, hörst du mich?«
    Jacob verdrehte die Augen, um Farder Coram anzublicken, der einen halben Meter entfernt auf der gegenüberliegenden Koje saß.
    »Guten Tag,

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