Der goldene Thron
zu bewegt von ihrem Wiedersehen, um etwas zu erwidern. Ellen, meine Ellen. Sie hat den Jungen nach mir benannt!, dachte er nur. William … Er wiederholte den Namen im Geist, kaute ihn, kostete ihn aus, ließ ihn auf sich wirken und glaubte, die Stimme seiner angelsächsischen Amme zu hören, die ihn in seiner Kindheit so gerufen hatte. Ob Ellen dem Jungen irgendwann die Wahrheit über seinen Vater sagen würde?
Thorne im Oktober 1180
D as Wetter war bereits seit gut drei Wochen nass und grau in grau und der Morast zuweilen so tief, dass der Tross des jungen Königs nur schwer vorankam. Schuhe und Stiefel blieben im Schlamm stecken, der bis hoch zu den Schenkeln spritzte, und die junge Königin beschwerte sich, weil sie fror und hungrig war, weil sie sich langweilte oder ihr das Hinterteil schmerzte. Trotzdem zog Henry rastlos umher. Weil das Wetter zu schlecht war, um die Nächte im Freien zu verbringen, sorgte Guillaume dafür, dass sie stets einen trockenen, sicheren Ort fanden, an dem sie zur Nacht willkommen waren. Klöster, Herbergen, größere Gutshöfe oder Burgen kamen infrage.
An diesem Tag näherten sie sich der Burg von Thorne, die auf einer sanften Anhöhe vor ihnen lag. Sir Ralph, der Burgherr, war nicht besonders wohlhabend, aber ein großzügiger Mann, der ihnen sicher seine Gastfreundschaft erweisen würde, auch wenn ihn die Bewirtung eines so großen Trosses ein Vermögen kostete. Gewiss hatte er eine gut beheizte Kammer für die junge Königin und ihren Gatten und ein Plätzchen auf dem Boden der Halle für seine Männer.
Palisaden aus dicken Eichenholzstämmen umgaben einen steinernen Wohnturm aus dunkelbraunen Ziegeln und weitere düster wirkende Gebäude. Die Hütten der Tagelöhner und Bauern schienen die Ostflanke des Hügels hinabzufließen wie zähflüssiges Blei. Felder und Wiesen zogen sich über die Hügel, und im Westen war das dunkle Grün eines großen Waldes zu sehen.
Während des Aufstands der Prinzen war Guillaume schon einmal hier gewesen. Damals hatte Sir Ralph, der sich als königstreubezeichnete, gegen sie gekämpft. Doch die Zeit der Revolte war längst vergessen, Vater und Sohn waren versöhnt und die Verbündeten Henrys II. auch die Freunde des jungen Königs.
»Erinnert Ihr Euch noch, Mylord, als ich beim Turnier zwischen Anet und Sorel den edlen Simon de Neauphle verlor?« Guillaume schnappte nach Luft wie ein Fisch, der am Ufer lag, und beugte sich quer über den Tisch, damit er seinen Herrn ansehen konnte.
Odon, ein weizenblonder Page von ungefähr zehn Jahren, goss ihm derweil einen Becher Wein ein. Guillaume nickte dankbar. Der Rebensaft hatte die Farbe von Ochsenblut und sorgte rasch für unbeschwerte Heiterkeit in der Halle.
»Freilich, mein Freund, wie könnte ich je Eure verdutzte Miene vergessen!« Der junge König schlug sich auf die Schenkel und wandte sich an ihre Gastgeber. Sir Ralph und seine Gemahlin schienen vor Ehrfurcht geradezu erstarrt. »Wir hatten die Franzosen soeben in die Flucht geschlagen, als wir nach einer wilden Verfolgungsjagd von unseren Männern getrennt wurden und in einen Hinterhalt gerieten. Simon de Neauphle versperrte uns mit gut dreihundert bewaffneten Fußsoldaten den Weg. Es schien kein Durchkommen möglich, doch umkehren wollte ich nicht. Also schlug mein tapferer Begleiter vor, einfach auf sie zuzusprengen und sie zu überrennen.« Der junge Henry lachte. »Wir gaben also unseren Pferden die Sporen und jagten so entschlossen auf die Soldaten zu, dass diese unwillkürlich eine Gasse bildeten, durch die wir hindurchkonnten.« Der junge König gab seinem Pagen ein kaum sichtbares Zeichen, damit er auch ihm Wein nachfüllte, und nahm einen kräftigen Schluck. Kein Ton war zu hören, so gespannt warteten alle auf den Fortgang der Geschichte. Nicht einmal der Lautenschläger, der sie bis dahin unterhalten hatte, schien zu wagen, in die Saiten zu greifen.
Henry grinste spitzbübisch und legte seiner Gemahlin die Hand auf den Arm. »Der Maréchal ritt voran. Durch ihre Reihenhindurch, als ständen sie Spalier für ihn. Simon de Neauphle staunte nur und begriff wohl erst, was geschah, als Sir Guillaume sein Pferd am Zaumzeug packte und ihn hinter sich herzerrte. Weiß der Herr, warum niemand es wagte, uns Einhalt zu gebieten.« Henry steckte sich ein Stück Pastete in den Mund. Sofort stand sein Page mit einer silbernen Wasserschüssel neben ihm. Der junge König tauchte seine Hände in das nach Lavendel duftende Nass,
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