Der goldene Thron
Wänden des Doms verbunden. Gebratene Würste und Nierenspieße, Kuchen, geröstete Mandeln und Bier wurden hier feilgeboten und verbreiteten eine unwiderstehliche Komposition aus Düften, der Guillaume nun nicht mehr wiederstehen konnte. Er kaufte sich eine heiße Wurst mit Brot und aß sie voller Genuss, während sie weiterschlenderten. Allerlei nützliche Dinge konnte man hier erstehen, besonders laut aber wurden die Pilgerabzeichen angepriesen, die es in unterschiedlichsten Größen und Formen gab. Es lohnte sich durchaus, das Angebot und die Preise genauer in Augenschein zu nehmen, bevor man kaufte, denn die Auswahl war beträchtlich.
»Das könnt Ihr Euch an den Hut stecken!«, sagte ein junges Mädchen am Stand auf Französisch, als Guillaume ein Abzeichen in ihrer Auslage betrachtete. »Hier findet Ihr mit heilige Petrus, Schutzpatron von Dom, da heilige Ursula und dort in Mitte mit Heilige Drei Könige!«, erläuterte sie ihre Ware.
Die Abzeichen waren nicht teuer, darum entschied sich Jacques für den heiligen Petrus und Guillaume für ein Abzeichen, auf dem der Dom zu sehen war, die Heiligen Drei Könige, ein Engel und ein Stern.
»Herr, gebt mir Eure Hand, und ich sage Euch, was der Allmächtige für Euch vorgesehen hat!« Eine magere Alte hatte sich Guillaume genähert und sprach ihn in erstaunlich gutem Französisch an. Sie zog das abgewetzte Tuch um ihre Schultern enger, streckte die Hand nach der seinen aus und lächelte geheimnisvoll.
Im ersten Moment schrak Guillaume zurück, doch der wissende, kluge Blick der Alten berührte ihn auf merkwürdige Weise. Mit ihren eingefallenen, faltigen Wangen und dem schlohweißen Haar erinnerte sie ihn an die Dörflerin aus Tancarville, der er einst das Brennholz gebracht hatte. Eine Woge von Zuneigung zu der ihm fremden Frau stieg in ihm auf.
»Scher dich fort!«, herrschte Jacques d’Avesnes die Alte an und wollte sie verscheuchen, doch Guillaume gebot ihm Einhalt.
»Lass nur, ich will hören, was sie mir zu sagen hat.« Mit klopfendem Herzen trat er auf sie zu und streckte die Hand aus. Als die Finger der Alten ihn berührten, fühlte er Ruhe und Zuversicht in sich aufsteigen.
»Ihr seid auf der Suche, Herr, nach Vergebung und Antworten«, sagte die Alte und studierte die Linien von Guillaumes Hand. »Fünf!«, rief sie plötzlich krächzend aus. »Fünf gekrönte Häupter und einen goldenen Thron sehe ich hier.« Sie tippte mit dem Finger in seine Handfläche. »Ein Wanderer seid Ihr und wisst nicht, wohin. Kennt weder das Ziel noch Eure Begleiter. Fragt Euer Herz, Mylord.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Das Schicksal Englands liegt in Eurer Hand, Herr, Ihr bestimmt den Weg .«
»Leeres Geschwätz!«, begehrte Guillaume auf und entriss der Alten seine Hand. Die Zurückweisung durch den jungen König stand ihm noch deutlich vor Augen. »Könnte ich den Weg bestimmen, so wäre ich nicht hier, sondern bei meinem König!«
Die Alte kicherte. »Dann wird Euch der Weg, den Ihr wählt, gewiss zu ihm führen!« Sie nickte bekräftigend.
Jacques d’Avesnes schüttelte den Kopf, als die Alte mit ihrer runzligen Hand Guillaumes Arm drückte, sich dann abwandte und kurz darauf in der Menge verschwand. »Man braucht weiß Gott kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass ein Pilger nach Vergebung sucht, und in der Hand eines Ritters einen König zu sehen!« Er lachte ungläubig. »Aber fünf gekrönte Häupter! Das ist zu viel! Du müsstest hundert werden, um das zu erleben! Und dass das Schicksal Englands in deiner Hand liegt, nun, verzeih mir, mein Freund, das scheint mir ein wenig zu hoch gegriffen!«
Guillaume nickte abwesend. Jacques d’Avesnes hatte recht, die Worte der Alten schienen vollkommen absurd, und doch gaben sie ihm Zuversicht.
Am Morgen des nächsten Tages verließen sie Köln, gingen zurück zu der Herberge, holten ihre Knappen, die Pferde, Rüstungenund Waffen ab und zogen zurück nach Westen, bis sich ihre Wege in der Nähe von Reims trennten.
»Bist du sicher, dass du mich nicht begleiten willst?«, erkundigte sich Jacques. »Ein Turniersieg würde dich gewiss auf andere Gedanken bringen.«
»Nein, mein Freund, ich bin ganz sicher!« Verletzte Eitelkeit hatte ihn dazu bewogen, sich zurückzuziehen und seinen Herrn im Stich zu lassen. Selbstgefällig war er gewesen, und das schon zu lange! Aus Eitelkeit hatte er nicht auf die Warnungen seiner Freunde gehört und geglaubt, die Liebe seines Königs sei ihm für immer sicher. Darum
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