Der goldene Thron
schluckte die Enttäuschung, die ihm bitter auf der Zunge lag, hinunter.
Ob ihm Baudouins Brief weitere Erkenntnisse bringen würde? Sobald sie in die Nähe einer Kirche kamen, würde er sich einen Priester suchen, der ihm den Brief vorlas. Manchmal fragte er sich, ob es ein Fehler gewesen war, das Lesen nicht zu erlernen. Andererseits erinnerte er sich noch gut an seinen einzigen Versuch, sich die Buchstaben untertan zu machen. All die verschnörkelten Zeichen waren vor seinen Augen verschwommen, als ergriffen sie vor ihm die Flucht.
»Henry wartet in Limoges auf Euch. Werdet Ihr zu ihm zurückkehren?«, erkundigte sich Sir Raoul bang.
»Gewiss werde ich das.« Guillaume lächelte. »Der alte König aber wird nach wie vor nicht gut auf mich zu sprechen sein. Darum suche ich besser erst den französischen König auf und bitteihn um ein Geleitschreiben. Sagt Baudouin de Béthune, dass er mich am zweiten Mittwoch des nächsten Monats in Montmirail treffen soll.«
»Allerliebster, treuester Freund«,
las der Priester, dem Guillaume ein paar Münzen für seine Dienste gegeben hatte, beflissen vor,
»seit du uns verlassen hast, haben Intrige, Missgunst und Eitelkeit Einzug bei Hof gehalten. Fünf Männer heben sich besonders mit übler Nachrede über dich hervor. Drei davon habe ich von Anfang an verdächtigt, du weißt, welche ich meine. Die anderen beiden waren auch für mich eine Überraschung. Diese Männer schmähen dich und ergötzen sich an dem Unrecht, das dir widerfahren ist. Sie frohlocken darüber, nicht mehr im Schatten deines Ruhmes zu stehen. Ja, sie bilden sich gar ein, heller zu strahlen als du, mein Freund. Darum muss ich dir unbedingt von den letzten Geschehnissen berichten, die mir große Genugtuung bereitet haben.
Ein Ritter trug unserem Herrn zu, wie erfolgreich du in Epernon gekämpft hast und welch großzügige Angebote man dir unterbreitet hat. Ich gebe zu, dass ich betrübt war, als ich hörte, dass du die Offerte meines Vaters ablehntest. Fünfhundert Livres Rente und die Hand meiner Schwester soll er dir geboten haben! Doch auch wenn ich dich nur allzu gerne Schwager genannt hätte, ich zürne dir nicht, mein Freund, dass du das großmütige Angebot abgelehnt hast. Es hat mir zu viel Freude bereitet zu erleben, wie unser Herr und seine treulosen Gefährten zugeben mussten, dass du auch ohne den Norrois einen einzigartigen Ruf als großer Ritter und Turnierkämpfer hast. Welch wohltuender Balsam für mein trauriges Herz, das dich so sehr vermisst! Auch bemerkte ich, dass unser junger König in jüngster Zeit häufig niedergeschlagen und nachdenklich war. Adam ist nun seine rechte Hand. Er steht ihm Tag und Nacht zur Seite, so wie du es einst tatest, dochersetzen kann er dich ihm nicht, so sehr er es auch wünscht, denn Freundschaft lässt sich nicht erzwingen. Mich quält der Verdacht, dass die Intrige gegen dich nur ein Anfang war. Ich fürchte Verrat an unserem Herrn aus seinen eigenen Reihen! Glaube mir, liebster Freund, Henry ist längst gewahr, welch großen Fehler er begangen hat, als er deinen Feinden Glauben schenkte. Ich weiß, wie sehr du ihm fehlst, darum bitte ich dich, um der Liebe zu unserem Herrn und um unserer Freundschaft willen, versage ihm deine Hilfe nicht!
Ich warte voller Ungeduld auf den Tag deiner Rückkehr.
Dein dir in tiefer, ewiger Freundschaft verbundener
Baudouin de Béthune
Geschrieben in Limoges am neunzehnten Tag des Monats Februar im Jahre des Herrn 1183.«
Guillaume ließ sich den Brief ein zweites Mal vorlesen, um sich jedes Wort davon merken zu können. Baudouin hatte ihn schon vor einer Weile verfasst. Ob sich die Angelegenheit seitdem zugespitzt hatte? Eine Falte grub sich in Guillaumes Stirn. Sein Freund witterte Verrat, hoffentlich war es nicht bereits zu spät! Wie gut, dass der junge König nicht nur Männer wie Adam, Thibault und Thomas, sondern auch solche wie Baudouin an seiner Seite hatte! Ein weicher Zug legte sich um seinen Mund. Er vermisste den Freund ebenso schmerzlich wie dieser ihn. Es würde guttun heimzukehren.
Limoges, Ende April 1183
E in farbenprächtiger Regenbogen zierte den rauchgrauen Himmel von Limoges, als Guillaume mit seinen Begleitern durch das mit Blumen geschmückte Stadttor ritt. Soldaten standen zu beiden Seiten Spalier und bejubelten ihn. Guillaume runzelte die Stirn. Die Reihen waren schlecht ausgerichtet und die Kettenhemden der Männer nicht blank geputzt. Geradezu ärmlich sahen die
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