Der goldene Thron
allein aufzusteigen?« Sie funkelte ihn an und stellte erleichtert fest, dass er sie umgehend losließ. »Außerdem reite ich nur mein eigenes Pferd, Euren Gäulen traue ich nicht!«
»Uh, die Lady hat Angst vor unseren Pferden!«, spottete ein jüngerer Soldat und grinste frech.
Der normannische Ritter rief ihn zur Ordnung und nickte auffordernd in Richtung der drei bewaffneten Männer aus Kilkenny. Aus den Augenwinkeln sah Isabelle, dass einer von ihnen sogleich Richtung Stall trabte.
Erstaunt fragte sie sich, ob der Mann von Sinnen war. Was mochte der Steward nur für tumbe Gesellen ausgesucht haben! Jedermann auf Kilkenny wusste doch, dass ihr Pferd nur Conall und sie selbst an sich heranließ. Versuchte jemand anders, den Hengst zu satteln oder ihn auch nur am Zaumzeug zu führen, keilte Apollo aus und wurde zur Furie. Dafür war er das wunderbarste Pferd, das Isabelle je gesehen hatte, und schnell wie der Wind noch dazu.
Kurz darauf kehrte der Mann mit dem gesattelten Pferd zurück.
»Conall«, formten ihre Lippen lautlos. Ihr Milchbruder trug die Kleidung eines Soldaten!
»War der Einfall des Stewards, mich als Soldaten auszugeben«,raunte Conall ihr zu, als er dicht genug neben ihr stand, und drehte den Steigbügel zurecht. »Sicher ist es besser, wenn vorläufig niemand weiß, dass wir Freunde sind«, wisperte er und ließ sie dann mit gleichgültiger Miene aufsitzen.
Isabelle sah scheinbar hoffärtig an ihm vorbei, noch bevor Conall sich wieder zu den anderen Soldaten begeben hatte. Dieses Spiel hatten sie schon so oft gespielt, dass es ihnen keine Schwierigkeiten bereiten würde. Sie hatten sich sogar eine Art Geheimsprache ausgedacht, um sich mit scheinbar unverfänglichen Floskeln gegenseitig etwas mitzuteilen. Isabelle schlug das Herz bis zum Hals. Sie war nicht allein! Conall war da und würde sie beschützen. Wer aber würde Brigid vor dem Zorn ihres Gatten bewahren? Isabelle rang nach Atem und warf einen kurzen Blick zu den beiden anderen Soldaten. Es waren die besten Schwertkämpfer Kilkennys, der eine dazu noch ein hervorragender Ringer, während sich der andere aufs Trefflichste darauf verstand, Messer zu werfen. Fragend blickte sie den Steward an. Sollte er sich tatsächlich Sorgen um sie machen? Oder wollte er nur sichergehen, dass sie London als Jungfrau erreichte und er keinen Ärger bekam? Dass Conall ihre Ehre bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würde, wusste der Steward sicher ebenso gut wie sie selbst.
Der Steward nickte ihr zu und trat näher, blieb jedoch in angemessenem Abstand vor Apollo stehen. »Lebt wohl, Mylady. Ich hoffe, Ihr kehrt bald gesund zurück. Sorgt Euch nicht um Kilkenny; ich werde gut für alles sorgen, so wie ich es immer getan habe.«
Wenn Ihr nicht gerade Katzenjunge ersäuft oder arme Verrückte erschlagen habt, wollte Isabelle schon mit aufloderndem Widerwillen antworten, doch sie besann sich eines Besseren. Der Steward hatte sich während des langen Siechtums ihrer Mutter als ehrlich und verlässlich erwiesen. Solange Aoife seine Aufzeichnungen hatte kontrollieren können, hatte er sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Aber auch als ihm nach Lady de Clares Tod lange freie Hand gelassen worden war, weil Isabelleerst Monate nach dem Verscheiden ihrer Mutter den Mut und die Kraft gefunden hatte, sich seine Abrechnungen anzusehen, war alles in bester Ordnung gewesen. Die Speicher von Kilkenny waren gut gefüllt gewesen, und es hatte weder kostbares Tafelgerät noch Silber gefehlt. Unredlichkeit konnte sie dem Steward wahrhaftig nicht vorwerfen.
»Ich weiß, Ihr habt stets getan, was Ihr für richtig hieltet. Es ist uns gut gegangen, meiner Mutter – der Herr hab sie selig – und mir. Darum vertraue ich auch weiterhin auf Euch, so wie mein Vater und meine Mutter es getan haben.« Als sie ihm ein Lächeln schenkte, wurde sie gewahr, dass es das erste überhaupt war, das sie ihm je gezollt hatte.
Um den Mund des Stewards lag mit einem Mal ein weicher Zug. Gefällige Gesten voll zurückhaltender Zärtlichkeit kamen Isabelle in den Sinn, gemessene Worte, die Achtung und Hingabe ausgedrückt hatten, bewundernde Blicke, die er zu verbergen geglaubt haben mochte, die sie aber bemerkt hatte, ohne sie jedoch deuten zu können. Auf einmal wusste sie, was sie bedeuteten. Plötzlich machten all diese kleinen Dinge einen Sinn. Die Erkenntnis, dass der Steward ihre Mutter von ganzem Herzen, jedoch mit absoluter Zurückhaltung, großer Selbstlosigkeit und
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