Der goldene Thron
Dringlichkeit auffordern, an meine Seite zurückzukehren.« Die Stimme des Königs war dünn und zittrig, sein Körper von der sengenden Hitze in seinem Inneren entkräftet. War ihm bis vor wenigen Monaten sein Alter kaum anzusehen gewesen, so hatte er plötzlich gespenstisch rasch all seine Kraft eingebüßt. Sein Haar war binnen kurzer Zeit vollkommen ergraut, die einstmals stets rosigen Wangen waren eingefallen, der ehemals breite, kräftige Rücken schmächtig geworden.Der Erzbischof aber kehrte unverrichteter Dinge zurück und berichtete, dass Richard furchtbar erzürnt gewesen sei, weil er die Abwesenheit seines Vaters für nicht mehr als eine neuerliche Verzögerungstaktik hielt.
»Ich bin sicher, dieser Longchamps redet ihm so einen Unsinn ein!«, knurrte Guillaume wohl wissend, dass der König es niemals so weit hätte kommen lassen dürfen. Was nur hatte Henry II. mit seiner Weigerung, Richard zu seinem Erben zu erklären, erreichen wollen? Ob er tatsächlich glaubte, Zeit gewinnen zu können, um eines Tages John zu seinem Nachfolger zu machen? Guillaume seufzte. Trotz aller Loyalität zu seinem König bezweifelte er, dass die Entscheidung, Richard hinzuhalten, die richtige gewesen war. Andererseits, wer konnte schon wissen, ob Richard nicht auf dem Kreuzzug fiel? Vielleicht hatte der Vater ja eine Vorahnung, von der er niemandem etwas sagte, und John wurde tatsächlich eines Tages König von England …
Mai 1189
A m Ende des Wonnemonats schließlich fand ein neuerliches Treffen zwischen Henry, seinem Sohn und dem französischen König statt, bei dem Richard seinen Vater aufforderte, John das Kreuz nehmen zu lassen und ihn, Richard, endlich als Thronfolger anzuerkennen.
Der König aber hatte mit seiner langen Krankheit jedes politische Feingefühl eingebüßt und verharrte in seinem Starrsinn, ganz gleich, wie sehr seine Berater versuchten, ihn zu einem Einlenken zu bewegen. Als wollte er Richard noch ärger herausfordern, schlug er Philippe gar vor, Alice solle John statt Richard heiraten, was einer Erklärung gleichkam, dass er seinen Jüngsten auf dem Thron sah und nicht Richard.
Der französische König hätte von seinen Zusagen an Richard nicht mehr abrücken können, selbst wenn er gewollt hätte, also verließ er die Verhandlungen gemeinsam mit seinem empörten Verbündeten, ohne auch nur die geringste Einigung erzielt zu haben.
»Ich habe es nicht anders erwartet! Meine Kinder taugen nichts und werden sich und mich in den Abgrund reißen!«, rief der König aus, als er wieder mit seinen Beratern allein war. Nach einer nachdenklichen Pause sah er Guillaume hilfesuchend an. »Sagt mir, Maréchal, was ich tun soll.«
Guillaume hatte seit dem misslungenen Ausgang der Verhandlungen nichts anderes getan, als darüber nachzudenken, wie die Situation noch zu retten war. Eine wirklich Erfolg versprechende Lösung war ihm nicht eingefallen. »Ihr solltet Eurem Sohn einen Boten nachschicken, der ihn bittet, an Eure Seite zurückzukehren.Mit allem Nachdruck!«, antwortete Guillaume, ohne ernsthafte Hoffnung, dass Henry zustimmen würde.
»Gut!«, antwortete der König jedoch zu seinem größten Erstaunen. »Ihr und Bertrand de Verdun werdet diese Aufgabe übernehmen. Geht!«
Die Aussicht, Richard vielleicht doch noch umstimmen und den schon so lange schwelenden Konflikt endlich beilegen zu können, versetzte Guillaume in Hochstimmung. Sie würden versuchen, Richard zu erklären, wie schlecht es um die Gesundheit seines Vaters stand. Wenn sie ihm glaubhaft machen konnten, dass der König dabei war, sein Urteilsvermögen einzubüßen, ohne dass der Prinz annahm, sie verrieten Henry, würde ihnen das Unmögliche vielleicht gelingen. Voller Hoffnung machten sich Guillaume und Bertrand de Verdun auf den Weg.
Sie folgten dem Prinzen bis nach Amboise, nur um dort alle Hoffnung zerstört zu sehen.
An die zweihundert Briefe, mit denen er seine Lehnsmänner aufforderte, ihm Truppen zur Verfügung zu stellen, hatte Richard in der vergangenen Nacht aufsetzen lassen. Noch vor Sonnenaufgang hatte er Boten damit losgeschickt und war selbst bei Tagesanbruch abgereist.
Guillaume schüttelte den Kopf. Es war zu spät. Es würde erneut Krieg geben, und er konnte nichts, absolut nichts dagegen tun.
Niedergeschlagen kehrten sie zu ihrem König zurück und berichteten ihm von dem verräterischen Vorhaben seines Sohnes.
Gewiss litt der König, doch er zeigte keinerlei Rührung, weder Zorn noch Enttäuschung waren auf
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