Der goldene Thron
Ein solches Wissen konnte sich als wahre Goldgrube herausstellen. Wenn König John nur genügend fürchtete, dass die Wahrheit ans Licht kam, so würde er jene stets mit besonderer Zuneigung und Großzügigkeit bedenken, die von seiner Tat wussten und sie vertuschten. Die Bauarbeiten an der Burg von Hay und den Festungen von Abergavenny und Builth hatten sich als kostspieliger herausgestellt als zunächst gedacht, darum waren sie beim König mit den Zahlungen für Limerick im Rückstand. Fünftausend Mark Silber, zahlbar in jährlichen Raten von je fünfhundert Mark, waren vereinbart worden, doch sie hatten diese Summe weder im ersten noch im darauffolgenden Jahr aufbringen können. Künftig jedoch würden sie sich wegen ihrer Schulden keine Sorgen mehr machen müssen! Matilda nickte zufrieden. Es ging um die Zukunft. Die ihres Gatten, ihre eigene und die ihrer Kinder. Siebzehn Jungen und Mädchen hatte sie das Leben geschenkt, drei davon waren früh gestorben, die anderen aber lebten. Ihre Töchter wollten mit einer ordentlichen Mitgift ausgestattet werden und ihre Söhne mit Pferden, Waffen und Rüstungen. Sie alle strebten nach Reichtum und Titeln, und sie alle sollten einmal mit ihrem Leben zufrieden sein. Gewiss würde der König helfen, sie gut zu verheiraten!
Matilda faltete den Brief sorgfältig zusammen, erhitzte den blutroten Siegellack und träufelte ihn so auf das Pergament, dass es nicht geöffnet werden konnte, ohne dass der einmal erkaltete, steinharte Lack zuvor zerbrochen wurde. Es zischte, als die heiße Flüssigkeit auf die dünn geschabte Schafshaut fiel, dann stieg eine feine Rauchsäule auf, die nach verbranntem Fleisch roch. Matilda bangte einen Augenblick, das Pergament könne Feuer fangen, denn sie siegelte nur selten selbst. Diesmal aber war äußerste Geheimhaltung gefragt. Matilda nahm ihr Siegel und presste es auf den glänzenden Lack. Wie stolz sie auf ihren Gemahl war! Er war auf dem besten Weg, der bedeutendste Baron im Land zu werden, und würde den Maréchal gewiss schon bald überflügeln!
Canterbury Castle, Winter 1203/1204
P rinz Arthurs plötzliches Verschwinden im Frühjahr hatte im ganzen Reich für die übelsten Gerüchte gesorgt. De Burghs Erklärung, der junge Mann sei an einem Fieber gestorben, glaubten die wenigsten. Einige munkelten, man habe ihn getötet. Andere behaupteten, er sei bei einem Fluchtversuch von der Burgmauer gestürzt und habe sich tödlich verletzt. Auch die Geschichte, dass Arthur die Flucht zwar geglückt, er jedoch kurz darauf in einem Fluss ertrunken sei, hatte ihre Anhänger gefunden.
Guillaume wusste nicht, was geschehen war und welche Geschichte er glauben sollte. Die vage Hoffnung aber, der Prinz könne doch noch leben und sich in irgendeinem Burgverlies befinden, hatte er schweren Herzens aufgegeben, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, wie schlecht man die Geiseln behandelt hatte, die der König bei der Befreiung seiner Mutter in Mirebeau genommen hatte. Hungern habe John die Gefangenen lassen, erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand. Guillaume warf einen skeptischen Blick auf seinen König, der sich mit großspurigen Heldengeschichten und tumben Scherzen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte. Ob er an Arthurs Verschwinden beteiligt war? Ihn womöglich getötet hatte, wie einige hinter vorgehaltener Hand behaupteten?
Guillaume atmete tief ein. Er hätte das Christfest lieber in aller Ruhe mit Isabelle und den Kindern in der Normandie verbracht statt hier in Canterbury, doch die katastrophale Lage auf dem Festland hatte ihn dazu bewogen, an Johns Seite nach England zurückzukehren. Auch Baudouin und viele weitere Barone hatten sich dem König angeschlossen. Und weil John seine Gemahlinebenfalls mit nach England genommen hatte, war in der Normandie tiefe Hoffnungslosigkeit entstanden. Niemand hatte den Beteuerungen des Königs, er werde schon bald mit neuen Truppen zurückkehren, noch Glauben schenken wollen.
Drei Wochen waren seitdem vergangen. Drei Wochen, in denen der König sich voller Verzweiflung zurückgezogen hatte. Guillaume warf einen zweiten Blick auf ihn. John schien wie ausgewechselt. Er lachte und scherzte wie früher auf Kosten anderer, von Trübsinn keine Spur mehr. Es war, als gäbe ihm das Christfest, auf das ein neues Jahr folgen würde, neuen Auftrieb. Ob er jedoch wirklich frischen Mut gefasst hatte oder sich vor seinen hohen Gästen verstellte, wusste Guillaume nicht zu sagen.
Vornehmlich aus dem Süden des
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