Der goldene Thron
unerkannt zu fliehen. Du bist nicht umsonst als großer Taktiker bekannt!«, unterbrach Ellen ihn spitz, doch dann lenkte sie ein: »Ich weiß ja, dass es die vernünftigste Lösung ist, damitThibault nicht gleich Verdacht schöpft. Wenn wir einen Kampf vermeiden können, umso besser.«
Sie liefen zum Lagerplatz und trennten sich, als sie nicht mehr weit von Thibaults Zelt entfernt waren. Hoffentlich ging alles gut! Wenn nur Rose ihnen nicht in die Quere kam! Seit Tancarville war sie immer dort, wo auch Thibault sich aufhielt. Er behandelte sie wie eine Leibeigene, schlug und erniedrigte sie, benutzte sie, wie es ihm beliebte, und hinterging sie, wenn ihm danach war. Und doch konnte sie offenbar nicht von ihm lassen. Rose verließ das Zelt nicht oft. Ob Ellen ihr in der Vergangenheit je auf einem der Turniere begegnet war? Sie hatte nie mehr ein Wort über sie verloren. Ich muss sie fragen, dachte er. Später. Er sah sich noch einmal prüfend um und schlich weiter. Es war schon fast dunkel, und die brennenden Fackeln, die in der Erde steckten, warfen zitternde Schatten an die Zeltwände. Zielstrebig ging er auf ein rot-grünes Zelt zu. Der Wachposten am Eingang grüßte ihn freundlich und ließ ihn ohne Weiteres ein.
»Kalt heute Abend!« Guillaume rieb sich die Hände und nickte Thibault freundlich zu.
»Was führt dich zu mir?«, fragte der betont gelangweilt, doch der unruhige Blick, der zwischen seinem ungebetenen Gast und einem Vorhang, der sein Zelt abteilte, hin- und herhuschte, verriet, dass er keineswegs so gelassen war, wie er tat. Bestimmt hielt er hinter dem Vorhang Jean versteckt!
»Ach, nichts Wichtiges, eine Beschwerde über einen deiner Männer.« Guillaume winkte ab. Er musste Zeit gewinnen, damit Ellen ihren Freund befreien konnte. Etwas Besseres war ihm so schnell nicht eingefallen.
»Eine Beschwerde?« Thibault fuhr auf. »Was soll das, Guillaume?«
»Einer deiner Männer soll einen jungen Mann entführt haben.« Guillaume warf die Arme hoch. »Ich weiß, Thibault, wie unsinnig das ist, doch ich muss einer solchen Anschuldigung nachgehen.« Guillaume war letztlich recht zufrieden mit seinem Einfall.Wenn er einen seiner Männer der Entführung bezichtigte, konnte Thibault sich später damit entschuldigen, dass er nichts davon gewusst habe, und so sein Gesicht wahren, was für Jeans und Ellens Sicherheit unabdingbar war. »Ein Edelmann bringt genügend Geld ein, aber ein einfacher Handlanger?«, fuhr Guillaume fort und ließ sich auf einen der faltbaren Stühle aus Holz und Leder fallen, obwohl ihm Thibault keinen Platz angeboten hatte. Er lachte laut und schlug sich auf die Schenkel. »Wer sollte schon einen einfachen Burschen gefangen nehmen!«
Thibault zog eine süßsaure Miene und lächelte dünn, als Guillaume sich einen leicht verschrumpelten Apfel aus der Tonschale auf dem Tisch nahm und hineinbiss.
»Du weißt, wie absurd deine Anschuldigungen sind, also verschwinde von hier!«, knurrte Thibault den seelenruhig kauenden Guillaume an, als plötzlich Madeleine in das Zelt stürzte.
»Verzeiht, Mylord, sie war so schnell unter meinem Arm durch«, murmelte der Wachsoldat verlegen und wollte sie schon wieder hinausschieben, als sie laut zu greinen anfing:
»Jean, ich will meinen Jean!«, jammerte sie und wehrte sich mit erstaunlicher Kraft gegen den Wachposten, kratzte, biss und schlug nach ihm.
»Jean! Sie will ihren Jean!«, äffte Thibault sie nach. »Und ich will Ellen«, knurrte er sie an, als wäre Guillaume gar nicht anwesend, und mit einem Mal überschlugen sich die Ereignisse. Der Vorhang im hinteren Teil des Zeltes wurde zurückgeschlagen. Es war Ellen, mit Athanor in der Rechten. Sie musste Madeleines Stimme gehört haben. Verwirrt blickte sie von Thibault zu dem jungen Mädchen. Jean war nirgendwo zu sehen. Offenbar war er bereits in Sicherheit.
Guillaume erhob sich bedächtig, um die Geschehnisse nicht noch weiter voranzutreiben.
Thibault aber zückte sein Schwert und gab seinen Männern ein Zeichen, dass sie sich zurückhalten sollten.
»Was soll das, Thibault? Willst du etwa gegen eine Frau kämpfen?«, mischte er sich nun ein.
»Tu nur nicht so, ich weiß, dass du und sie …« Thibault lachte auf. »Aber ich habe sie vor dir gehabt, mein Lieber!«
Guillaume schüttelte nur den Kopf. Thibault musste von Sinnen sein!
Madeleine wehrte sich unterdessen mit aller Kraft gegen den Wachposten, der sie festhielt. Als sie sich losriss, stürzte ein Knappe, der sich bisher
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