Der Goldschmied
gemacht.«
Gwyn wandte sich zu seinem Lehrherrn. Fallen nickte zustimmend. Gwyn öffnete den Reisesack und wickelte aus einem Bündel Lumpen eine Schatulle aus Holz und Leinen.
Er stellte sie vor den Abt auf den Tisch. Als er sie öffnen wollte, hielt ihn Fallen mit einer stummen Bewegung am Arm zurück.
Der alte Mönch klopfte auf die Sessellehne. Gwyn sah den großen Siegelring, den der Mann als einzigen Schmuck trug. Es gab ein helles, hölzernes Geräusch, das erstaunlich laut in dem kahlen Raum zu hören war. Eine Türe öffnete sich, und zwei Mönche traten ein. Sie verbeugten sich respektvoll vor dem Alten und murmelten Fallen und Gwyn ein »Gottes Gruß« entgegen. Dann traten sie an den Tisch. Der eine stützte den Oberkörper des alten Mannes, der andere öffnete die Schatulle.
Gwyn kam es vor, als sähe er den Kelch nach langer Zeit heute wieder. Der Anblick freute ihn jedoch erneut. Alle Männer in dem Raum schwiegen. Einer der beiden Mönche hatte sich beim Anblick der prächtigen Goldschmiedearbeit ehrfürchtig bekreuzigt. Die langen Atemstöße des Alten wurden schneller. Dieser Anblick musste den Abt sehr bewegen. Langsam streckte er seine langen, dürren Arme aus. Der Mönch nahm den Kelch und reichte ihn dem Mann. Vorsichtig griff der alte Abt zu und hielt das Gefäß in die Hände. Vorsichtig drehte er die kunstvolle Arbeit, und seine Fingerspitzen berührten die feinen Ornamente, so als müsse er einen Fehler aufspüren. Seine Finger tasteten über den Rand, folgten der scheinbar natürlichen Windung der goldenen Weinrebe. Die Fingerspitzen hielten immer wieder auf einer der Perlen inne, und behutsam folgten sie der glatten Oberfläche bis hin zu der feinen Fassung, die jede einzelne Perle festhielt. Plötzlich hob er das Gefäß an seinen Mund und küsste es. Dann begann er zu sprechen.
»Die zwölf Apostel, versammelt zum Abendmahle mit Jesus Christus, unserem Herrn. Wahrhaftig! Es ist wahr, was man mir erzählt. Lobet den Menschen nicht! Es macht nur eitel und selbstgefällig. Dies hemmt die Kraft, gottgefällige Dinge zu tun. Gwyn Carlisle, der heilige Elegius selbst wacht über dich, und Gott der Herr führt deine Hände. Du bist sein Werkzeug. So sei es, und so soll es bleiben.«
»So sei es, und so soll es bleiben«, murmelten feierlich die beiden Mönche.
Gwyn war tief verlegen. Woher wusste der Abt, dass er, der Lehrling, wesentlichen Anteil an dieser Arbeit hatte? Scheu blickte er seinen Meister an und sah, wie dieser lächelte. Gwyn spürte sein Herz schlagen, so laut, dass er meinte, alle hier im Raum würden es hören. Und auf einmal fühlte er sich seltsam stolz und glücklich.
Erneut begann der Abt mit leiser, kaum hörbarer Stimme zu sprechen.
»Ich erinnere mich noch ganz genau. Die goldene Schatulle. Wir gaben sie damals für die Befreiung Jerusalems von den Heiden. Die zwölf Apostel, sagt man, seien eine Kriegsbeute der Römer gewesen. Vielleicht ist dies eine Geschichte, wer weiß, wer weiß? Nun aber haben sie einen Hort gefunden, der ihrer würdig ist. Versammelt um das Gefäß, in dem Wein zum Blute Christi wird, welches vergossen wurde für die Erlösung der Welt. Ich danke Euch, Master Fallen, und dir, Gwyn Carlisle, danke ich auch. Noch einmal werde ich eine Messe lesen. Seid dabei unsre Gäste.«
Ein plötzlicher Nebel hatte sich über das Land, das Kloster und all seine Mauern gelegt, ein mächtiger weißer Schatten, alles und jedes Geräusch verschluckend wie ein hungriger Bauch.
Fallen und Gwyn hatten sich die Hände und das Gesicht gewaschen. Als Erfrischung erhielten beide einen Krug dunkles Bier. Ein Mönch führte sie dann in die Klosterkirche. Der Meister hatte ihm von den feierlichen Weihungen dieses Ordens erzählt. Die Freude, mit der die Mönche ihre feierlichen Lieder sangen, die Aura jeder Zeremonie, war ein Teil dieses Ordens, der sich ganz der Dienerschaft im Namen Jesu Christi verschrieben hatte. Ihr Lebensinhalt war, die immerwährende Kraft zu finden, für die Gemeinschaft tätig zu sein.
Ganz im Sinne ihres Glaubens: Suche immer Zwiesprache mit Gott! Bete zu ihm! Arbeite, denn es ist wie dein Gebet nur für ihn, Gott selbst!
In zwei Reihen zogen die Mönche in die Kirche, jeder mit einer langen Kerze, deren Flammen feine Rauchfäden hinterlassend, nach Honig und frischem Wachs riechend, die Dunkelheit der Kirche erhellten.
Die Mönche sangen. Ein Gesang, den erst ein Vorsänger intonierte, mit heller, fast der Tonlage eines Knaben
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